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August Beil:

Kampforganisation oder Sekte (1925)

„So hat Kamerad Reuß seinen Artikel überschrieben. Die Bezeichnung ‚Kampforganisation oder Massenorganisation’ hätte für den Inhalt des Artikels besser gepasst. Des langen Schreibens kurzer Sinn ist: Hätten wir uns an den Wahlen der gesetzlichen Betriebsräte beteiligt, dann wäre unsere Organisation noch zahlenmäßig stark und der Einfluß größer. Seine Schlußfolgerung ist: daß die bisherige Nichtbeteiligung an den Wahlen zum gesetzlichen Betriebsrat falsch war und daß man jetzt sich unbedingt an diesen beteiligen müsse. Wer so schlußfolgert aus den Erfahrungen der letzten Jahre, der hat nicht die Ursache des Verfalls und der Stagnation der Arbeiterbewegung erkannt. Nicht nur die FAUD sondern alle Organisationen haben an Zahl und Einfluß verloren. Daß das Proletariat seelisch und physisch geschlagen ist, haben außer den Zentralgewerkschaften die gesetzlichen Betriebsräte und die Schaukelpolitik der ‚Kommunisten’ zum größten Teil verschuldet. Wenn Reuß sagt, der gesetzliche Betriebsrat wäre keine gesetzgebende Körperschaft, so stimmt das. Er ist aber doch eine gesetzliche Institution und hat sich im Rahmen des Gesetzes zum Schaden der sozialen Revolution zu bewegen.

Es ist ein großer Irrtum, wenn Reuß sagt, er wäre nichts anderes als der alte vorrevolutionäre Arbeiterausschuß. Dieser Arbeiterausschuß, dem ich selbst im Jahre 1917 angehörte, stützte sich nur auf die Macht der Arbeiter und war somit imstande, im Sinne der vorwärts- und aufwärtsstrebenden Arbeiterschaft zu wirken. Nachdem man aber das Betriebsrätegesetz, das, wie Reuß zugibt, nur geschaffen worden ist, um die revolutionäre Räteidee unschädlich zu machen, angenommen hat, wurde die Arbeiterbewegung aufs tote Gleis gefahren. Mit Hilfe der gesetzlichen Betriebsräte wurden alle impulsiv aus der Masse hervorbrechenden Aktionen niedergehalten, zumindest aber unwirksam gemacht. Der gesetzliche Betriebsrat nützt einer revolutionären Organisation gar nichts. Es ist einfach unmöglich, im Rahmen des Gesetzes revolutionäre Arbeit zu leisten. Nur ein Beispiel, wie diese Arbeiterräte sich in den Augen der Belegschaft blamieren müssen, sei hier angeführt. Auf der Rheinmetall-Düsseldorf hatte man dem Betriebsrat seine angeblichen Rechte beschnitten. Im geheimen wurde nun eine Demonstration vor dem Direktionsgebäude arrangiert. An einem Morgen demonstrierte nun die Belegschaft dort und wurde von dem Obmann Brune mit folgenden Worten empfangen:

‚Kollegen! Ihr demonstriert wohl, damit der Betriebsrat wieder seine alten Rechte bekommt. Ich aber habe den Auftrag, euch aufzufordern, wieder in die Betriebe zurückzukehren. Ich tue das hiermit.’

Welche Wirkungen eine solche inkonsequente Haltung eines Mannes, der an der Spitze einer Belegschaft steht, auslöst, kann sich jeder denken, wenn er die Massenpsyche einigermaßen kennt. Glaubst du, lieber Reuß, daß das zum Nutzen der Organisation dient? Das Gegenteil trifft zu. Laut Rätegesetz mußte der Obmann aber so, wie angeführt, handeln. Man könnte diese Beispiele beliebig vermehren.

Das Resümee ist folgendes: Die gesetzlichen Betriebsräte haben Hand in Hand mit den Zentralgewerkschaften und Parteien im Proletariat jeden Glauben an eine Lösung ihres sozialen Elends vernichtet. Sie haben ihm den Glauben an seine eigene Kraft genommen. Das ist die Ursache des augenblicklichen Stillstands des Proletariats. So siehts in Wirklichkeit aus. Wir erleben heute die Auswirkung der marxistischen Theorie, die logischerweise sich so auswirken muß.

Bakunin schrieb, nachdem Marx versucht hatte, in der I. Arbeiterinternationale seine autoritäre und parlamentarische Idee einzuführen, folgendes: ‚Wenn diese Theorien von der Internationale angenommen werden, wird das Proletariat eine vollständige Entmündigung und Desorganisation erleben.’ Wir haben heute die Ehre oder auch die Schande, dies zu erleben. Man müßte lachen, wenn es nicht so bitter ernst wäre, daß man versucht, den Gegnern der gesetzlichen Betriebsräte die Stagnation der Arbeiterbewegung in die Schuhe zu schieben.

Kamerad Reuß! Forsche du nur ein bisschen tiefer, dann wirst du die wahren Ursachen erkennen. Es wäre geradezu ein Verbrechen an uns selbst, wollten wir nachdem die gesetzlichen Betriebsräte ein vollständiges Fiasko erlitten haben, dem Vorschlag des Kameraden Reuß folgen. Glaubt man denn, wir hätten einen Erfolg? Die ‚Kommunisten’ beteiligen sich unter demselben Vorwand an den gesetzlichen Betriebsratswahlen und am Parlament. Glaubst du, Kamerad Reuß daß sie damit Erfolg haben? Mitnichten! Wenn sie mehr Einfluß haben, als wir, so nur durch ihre Tagespresse und den Rubel. Die ‚kommunistischen’ Betriebsräte aber haben sich genau so kompromittiert wie die reformistischen.

Wir haben einen rein ‚kommunistischen’ Betriebsrat. Derselbe versuchte auch jede Belegschaftsversammlung mit seinen Parteireferenten zu beschicken. Zwei- oder dreimal ist es geglückt, und dann blieb die Belegschaft einfach den Versammlungen, die vom Betriebsrat einberufen waren, fern. Auch hier, Kamerad Reuß, siehst du, daß der von dir vorgeschlagene Weg nicht zum Ziel führt. Noch nicht einmal zur Massenorganisation um jeden Preis, von Kampforganisation gar nicht zu reden. Zur prinzipiellen Seite möchte ich die Frage aufwerden, was ist Prinzip? Ich verstehe darunter den Niederschlag langjähriger praktischer Erfahrung. Dieses Prinzip sagt uns, daß, wenn man sich in den Schmutz setzt, man selbst schmutzig wird. Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.

Lieber Kamerad Reuß, nicht durch gesetzliche Betriebsräte können wir dem Proletariat das Bewußtsein seiner Kraft zurückgeben, sondern wenn jeder, der sich Anarcho-Syndikalist nennt, in klaren Worten dem Proletariat das Schädigende der Zentralgewerkschaften und Parteien und das Nützliche und Notwendige der anarcho-syndikalistischen Organisationen vor Augen führt und es bekannt macht mit der anarcho-syndikalistischen Kampfesweise. Dazu gibt es Gelegenheit auf allen Arbeitsstellen und Betriebsversammlungen. Auch ist es unbedingt nötig, daß wir uns alle Mühe geben, eine Tageszeitung ins Leben zu rufen. Das Lebenselement aller Vereinigungen ist die Tagespresse. Ich bin tief davon überzeugt, haben wir eine Zeitung, wird unsere Bewegung wieder aufwärts steigen. Selbstverständlich ist unser Weg noch mühevoll und dornig. Alles um uns, teilweise auch noch in uns, ist zentralistisch-autoritär eingestellt und versteht uns schwer. Alle Parteien und Zentralgewerkschaften haben sich an das Bestehende angelehnt und mußten deshalb versagen. Dieses soll uns zur Lehre dienen. Erstreben wir deshalb nicht Massenorganisationen um jeden Preis, sondern sorgen wir dafür, daß der Anarcho-Syndikalismus, so wie er in die Breite, auch in die Tiefe geht. Die Geschichte zeigt uns, daß die zielklaren Gruppen fast immer ihr Ziel erreicht haben, wenn sie nicht vom Wege abrücken und Konzessionen machten.

Partei- und Gewerkschafts-Bonzen haben das Proletariat geschwächt. Durch anarcho-syndikalistische Erkenntnis wird die Schmach einst gerächt. Auf zur Tat!“

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 7 (1925)

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