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Pjotr A. Kropotkin, Die Große Französische Revolution 1789 - 1793

Aus dem Französischen übersetzt von Gustav Landauer.

Mit einem Nachwort von V. M. Dalin, Anmerkungen von A. W. Gordon und J. W. Starostin und mit einem Essay von Gustav Landauer, Leipzig und Weimar 1982 (Gustav Kiepenheuer Verlag), 2 Bände, 352 und 388 Seiten, 2 Kartenbeilagen, Ln. M 26,50/ DM 12,95 

1. Neben Jean Jaures Histoire socialiste de la Revolution francaise ist Peter Kropotkins Geschichte der "Grande Revolution" aus dem Jahre 1909 nicht nur ein Klassiker unter den Untersuchungen über diesen so entscheidenden Abschnitt der jüngeren Vergangenheit Europas, sondern sein Werk steht in der Regel immer noch auf der Höhe der historischen Forschung. Der besondere Wert dieser Arbeit Kropotkins liegt in seiner Analyse der inneren Zusammenhänge und Triebfedern, der sozialen und ökonomischen Ursachen und Kräfte der Französischen Revolution. Kropotkins Interesse gilt nicht so sehr der – wie er sie nennt – "ideellen Strömung" der Revolution, sonderu dem "Handeln der Volksmassen"; "kurz, die parlamentarische Geschichte der Revolution, ihre Kriege und Politik sind in allen Einzelheiten erforscht und dargestellt worden. Aber die Revolutionsgeschichte des Volkes bleibt noch zu schreiben". Und in diesem Sinne ist Kropotkins Werk Geschichte von unten, die sowohl von ihrem Ansatz wie auch von ihren Resultaten nicht überholt ist.

Es ist im Rahmen dieser Rezension unmöglich, auf den Inhalt des Werkes einzugehen. Erwähnen möchte ich nur, daß Kropotkin nachweist, daß der extreme Zentralismus der französischen Verwaltung nicht das Produkt der revolutionären Bewegung war, sondern vielmehr gerade die 1789 verabschiedete Munizipalverfassung, die den Gemeinden weitgehende Unabhängigkeit in den inneren Angelegenheiten sicherte, eine der stärksten Stützen für die revolutionäre Entwicklung von 1793 darstellte, während der Zentralismus das Lieblingskind der Gironde, der Vertreter des Handels- und Industriekapitals, war, die die revolutionäre Entwicklung zu begrenzen suchte - nicht zuletzt wegen der sich stärker artikulierenden sozialistisch/kommunistischen Tendenzen in Stadt und Land. Bonapartes Staatsstreich ersetzte schließlich die demokratischen Gemeindeverwaltungen durch die elende Präfektenwirtschaft, die ein mächtiger Hebel der Reaktion war. Interessant ist, daß sich Kropotkin hier mit dem Begründer des Marxismus – ich meine Friedrich Engels (Marx bestand ja bekanntlich darauf, kein Marxist zu sein) – trifft, der seine und Marx Anschauungen über den Zentralismus in der Französischen Revolution, wie sie sie 1850 im 'Bund der Kommunisten' vertraten und die zu dieser Zeit in ihre Revolutionskonzeption eingeflossen sind, 1885 im oben angeführten Sinne korrigierte.[1]

2. Peter Kropotkin ist einer der wichtigsten Theoretiker des modernen Anarchismus (griechisch: Herrschaftslosigkeit) oder antiautoritären Sozialismus und ein scharfer Kritiker des sich auf Marx und Engels berufenden Stranges der sozialistischen und Arbeiterbewegung, besonders aber des zur Staatsmacht gewordenen russischen Bolschewismus. Schon aus diesem Grunde mag es überraschen, daß eines seiner Hauptwerke in einem Land des 'real existierenden Sozialismus' erscheint. Noch verblüffender ist die Tatsache, daß diverse Schriften Kropotkins in den letzten 20 Jahren in der UdSSR neu herausgegeben worden sind. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, daß gerade Lenin eine große Hochachtung vor Kropotkin hatte und mit ihm über die Herausgabe seiner Werke verhandelte, wobei Lenin besonderen Wert auf Kropotkins Geschichte der franzö­sischen Revolution legte. Kropotkin ist es also ähnlich wie Rosa Luxemburg ergangen – auch sie wurde ja bekanntlich durch ein Lenin-Wort vor der totalen Exkommunikation aus der 'real-sozialistischen' Kirche 'gerettet'. Und ebenso bemerkenswert ist der Abdruck von Landauers Essay über Kropotkin, der nun wahrlich keiner Parteilinie verpflichtet ist.

3. V. M. Dalins sehr informatives Nachwort, das neben einem ausführlichen Bericht über die Entstehung des Buches eine ebenso ausführliche biografische Skizze Kropotkins enthält, ist durch eine tiefe Sympathie für den "anarchistischen Prinzen" (so seine Biographen G, Woodcock und I. Avakumovič) gekennzeichnet. Die üblichen Kotaus vor den 'Klassikern des Marxismus-Leninismus' sind auf das allernotwendigste begrenzt, Lenins oben erwähnte Äußerungen über Kropotkin sichern Dalin im Rahmen der 'Parteilinie' anscheinend genügend ab, sodaß den Leser(inn)en die sonst oft üblichen langweiligen Exegesen der 'marxistisch-leninistischen Kritik am kleinbürgerlichen Anarchismus' erspart bleiben. Allein in den Anmerkungen von A. W. Gordon und J, W. Starostin – die übrigens vorbildlich den neuesten Forschungsstand referieren, weiterführende Literatur anführen und einige notwendige Korrekturen anbringen – wird bemerkenswert sachlich[2] Kropotkins Theorie des kommunistischen Anarchismus dargestellt und kritisiert. Nur stolpern die Autoren über ihre eigenen Füße, da der "naiv-utopische Charakter von Kropotkins Ansichten über den Kommunismus" von ihnen mit den "historischen Erfahrungen beim Aufbau der klassenlosen Gesellschaft in der Sowjetunion" und den "Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen-Revolution" bewiesen sein soll – derlei mutet allein schon im Licht der Theorien der 'Klassiker' (also Marx und Engels, aber durchaus auch Lenin) wie ein schlechter Witz an, ganz zu schweigen von der realen Entwicklung des 'real existierenden Sozialismus'.

Doch, wie gesagt, solche Kotaus vor der 'Parteilinie' sind relativ rar, und diese Edition von Kropotkins Geschichte der französischen Revolution büßt dadurch nichts an ihrem wissenschaftlichen Wert ein.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß die beiden Bände hervorragend verarbeitet und ausgestattet sind. Gut gebundene Bücher sind in der Regel teuer. Diese beiden Bände sind es nicht.

Jonnie Schlichting, Hamburg 

(direkte aktion Nr. 51 [Pfingsten 1985], S. 10 – leider seinerzeit von der Redaktion ziemlich verhunzt abgedruckt)


 

[1]    In der "Ansprache der Zentralbehörde an den Bund [der Kommunisten] vom März 1850" schrieben die beiden: "Wie in Frankreich 1793 ist heute in Deutschland die Durchführung der strengsten Zentralisation die Aufgabe der wirklich revolutionären Partei." 1885 kommentierte Engels diesen Satz wie folgt: "Es ist heute zu erinnern, daß diese Stelle auf einem Mißverständnis beruht. Damals galt es – dank den bonapartistischen und liberalen Geschichtsfälschern – als ausgemacht, daß die französische zentralisierte Verwaltungsmaschine durch die große Revolution eingeführt und namentlich vom Konvent als unumgängliche und entscheidende Waffe bei Besiegung der royalistischen und föderalistischen Reaktion und des auswärtigen Feindes gehandhabt worden sei. Es ist jetzt aber eine bekannte Tatsache, daß während der ganzen Revolution bis zum 18. Brumaire die gesamte Verwaltung der Departements, Arrondissements und Gemeinden aus von den Verwalteten selbst gewählten Behörden bestand, die innerhalb der allgemeinen Staatsgesetze sich mit vollkommener Freiheit bewegten; daß diese der amerikanischen ähnliche, provinzielle und lokale Selbstregierung grade der allerstärkste Hebel der Revolution wurde, und zwar in dem Maß, daß Napoleon unmittelbar nach seinem Staatsstreich, vom 18. Brumaire sich beeilte, sie durch die noch bestehende Präfektenwirtschaft zu ersetzen, die also ein reines Reaktionswerkzeug von Anfang an war. Ebensowenig aber, wie lokale und provinziale Selbstregierung der politischen, nationalen Zentralisation widerspricht, ebensowenig ist sie notwendig verknüpft mit jener bornierten kantonalen oder kommunalen Selbstsucht, die uns in der Schweiz so widerlich entgegentritt und die 1849 alle süddeutschen Föderativrepublikaner in Deutschland zur Regel machen wollten." (s. MEW 7, S. 252f., Anmerkung)

[2]    dies muß bei 'real-sozialistischen' Autoren immer notiert werden, in der Regel werden abweichende sozialistische Theorien denunziert!

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