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Helge Döhring
Syndikalismus nach 1945
Krise und Richtungsentscheidungen des deutschen Nachkriegssyndikalismus im
internationalen Kontext
Marcel Van der Linden und Wayne Thorpe kommen in einem Beitrag für die
Zeitschrift "1999 Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts"
nach einer Analyse der internationalen syndikalistischen Nachkriegsbewegung in
ihrer Schlußfolgerung auf drei Entwicklungsmöglichkeiten der syndikalistischen
Bewegungen:
1. Marginalisierung des Syndikalismus durch (dogmatische) Prinzipientreue.
2. Verwässerung der Prinzipien durch Kursänderung Richtung Reformismus und
3. Auflösung der Organisation, bzw. Übertritt in andere Organisationen.
An diesen drei aufgezeigten Möglichkeiten entlang möchte ich nicht zuletzt in
Fortsetzung der in den DA-Ausgaben Nr. 155 und 157 erschienenen Artikel über die
Geschichte der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD), insbesondere ihrer
Stellung zu Tarifverträgen und gesetzlichen Betriebsräten aufzeigen, wie sich
der Anarcho-Syndikalismus in Deutschland nach 1945 weiterentwickelt hat, ohne
dabei die Entwicklung auf internationaler Ebene aus den Augen zu verlieren.
Kurzer Rückblick
Mit Ausnahme Spaniens verhielten sich die Mitgliederzahlen der syndikalistischen
Organisationen in den zwanziger Jahren nahezu in allen europäischen Ländern
rückläufig, was auch Marcel van der Linden und Wayne Thorpe im Rückblick weniger
auf die erhöhte Repression zurückführten, sondern ebenso, wie zeitgenössische
FAUD-Theoretiker auf die Etablierung des Wohlfahrtsstaates mit den Folgen der
Integration und Befriedung der Arbeiterklasse. Die deutschen Syndikalisten der
FAUD versuchten diesem Fatalismus entgegen den Spagat zwischen der ersten und
der zweiten Entscheidung. Sie versuchten ihre Strategie möglichst flexibel,
anpassungsfähig und gleichzeitig wenigstens auf ideeller Ebene prinzipientreu
auf die Verhältnisse in Deutschland abzustimmen. Die föderalistische, von
gegenseitiger Toleranz (in betrieblichen Fragen, wie Tarifverträgen oder
Betriebsräten) geprägte Organisationsform und Vorgehensweise trug zu einer
relativen Stabilisierung der FAUD ab Mitte der zwanziger Jahre bei. Dennoch
stellte der Gründungskongreß der FAUD-Nachfolgeorganisation "Föderation
freiheitlicher Sozialisten" (FFS) auf ihrem Gründungskongreß im Jahre 1947 fest,
daß die FAUD versagt habe, da sie sich als in dieser Hinsicht nicht "beweglich
genug" erwiesen habe.
Syndikalismus international
Innerhalb der IAA führten die unterschiedlich eingeschlagenen Wege der einzelnen
Sektionen, flankiert von faschismusbedingten Verbotsverfügungen, beispielsweise
in Deutschland (1933), Spanien (1939) oder Italien (1922), in den folgenden
Jahrzehnten zu den wohl unvermeidlichen Symptomen von Mißtrauen, Spaltungen,
Austritten, bzw. Ausschlüssen. Während sich aktuell zumindest auf europäischer
Ebene neue syndikalistische Gewerkschaften in Abspaltung von den verbliebenen
IAA-Sektionen formieren und neue Wege beschreitend anwachsen (z.B. die "Confederation
Nationale du Travail" (CNT-Frankreich-"Vignoles") oder die Majorität der "Unione
Sindacale Italiane (USI-Italien), befinden sich die IAA-Sektionen, wie die "Confederacion
National del trabajo" (CNT-Spanien) oder die "Confederation Nationale du Travail"
(CNT-Frankreich-"Bordeaux"), in jahrelang anhaltender Agonie. Wieder andere
Organisationen mit syndikalistischer Wurzel und postulierten "syndikalistischen
Zielsetzungen" (Hans Jürgen Degen), wie etwa die "Sveriges Arbetares
Centralorganisation" (SAC-Schweden), welche im Jahre 1957 aus der IAA austrat
oder die "Confederacion general del Trabajo" (CGT-Spanien) als Abspaltung der
CNT können als offen reformistisch eingeschätzt werden. Wie an diesen Beispielen
aufgezeigt werden kann, besitzt diese von van der Linden und Thorpe vorgenommene
Dreiteilung der Entwicklungsmöglichkeiten syndikalistischer Bewegungen bis heute
uneingeschränkte Gültigkeit. Damals wie heute besitzen diejenigen
syndikalistischen Organisationen am meisten Anziehungskraft, welche es
verstehen, zwischen anarchistischen Prinzipien und aufoktroyierten Sachzwängen
mittels hoher Flexibilität das jeweils richtige Maß zu finden und bei bleibender
ideeller Prinzipientreue jeglichen Dogmatismus abzulegen. Gelang es der FAUD auf
diese Weise, sich zu stabilisieren, verzeichnen einige der oben genannten
syndikalistischen Organisationen auf diese undogmatische Weise aktuell ein
teilweise rasantes Anwachsen ihrer Mitgliederzahlen (in Paris stellen die
Syndikalisten der CNT "Vignoles" die meisten Teilnehmer auf der revolutionären
1. Mai Demonstration vor den kommunistischen Organisationen).
Die Internationale Arbeiter Assoziation (IAA)
Passend dazu stehen die Aussagen bezüglich der IAA seitens der Deutschen
Nachkriegsanarchosyndikalisten A. Leinau und August Kettenbach. Ersterer
konstatierte hinsichtlich des Beharrens der IAA auf dem ersten Möglichkeit (van
der Linden/ Thorpe), "daß mit dem Ableben der alten F.A.U.D. auch die I.A.A.
ihre Bedeutung verloren hat. Was wir brauchen ist eine Internationale, welche
lebendig ist und jedem Land und seiner Mentalität gerecht wird." Kettenbach sah
die IAA "zum Abtreten verurteilt, denn sie ist nur noch ein Erinnerungsstück".
Da die IAA in einem Dogmatismus erstarre, welcher den jeweiligen Entwicklungen
in den einzelnen Ländern nicht Rechnung trage, sah die deutsche Sektion FFS in
ihr keine Zukunft mehr und trat schon im Jahre 1952 wieder aus. Aus demselben
Grunde verließ fünf Jahre später auch die SAC, als wohl einzige funktionierende
und ernstzunehmende Gewerkschaftssektion die IAA. In ihrem pragmatischen
Reformismus kamen sich die SAC und die FFS sehr nahe, verfaßte Rudolf Rocker
doch nicht nur die für die FFS entscheidende Schrift von den "...Möglichkeiten
einer anarchistischen und syndikalistischen Bewegung...", sondern 1952 auch die
Prinzipienerklärung für die SAC. Der Unterschied zur FFS bestand darin, daß die
SAC weiterhin an ihrer gewerkschaftlichen Organisationsform festhielt -
reformistische Interessenorganisation und revolutionäre Ideenorganisation auch
organisatorisch miteinander verbunden wissen wollte.
Standpunkte der FFS
Anders gestaltete sich die Angelegenheit zunächst in Deutschland nach dem
zweiten Weltkrieg, wo sich die Syndikalisten auf betrieblicher Ebene für die
dritte von van der Linden und Thorpe genannten Möglichkeiten entschieden und auf
eine Wiedergründung der FAUD verzichteten. Stattdessen schufen sie eine
anarcho-syndikalistische Ideenorganisation, die "Föderation freiheitlicher
Sozialisten" (FFS), welche auch der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA)
beitrat. Die Anarcho-Syndikalisten knüpften nach 1945 nicht nur in
wirtschaftlichen Fragen dort an, wo sie bis 1933 weitestgehend ohne Erfolg
blieben, sondern auch dort, wo sie seit Ende der zwanziger Jahre die größten
Erfolge zu verzeichnen hatten: In der Kulturarbeit und dort im speziellen an die
Gilde freiheitlicher Bücherfreunde (GfB), denn "eine solche Kulturarbeit ist
heute in Deutschland doppelt notwendig, um Klärung zu schaffen und unsere
Anschauungen in breitere Volkskreise zu tragen, wo sie befruchtend beim
Wiederaufbau des Landes mitwirken können". Die Priorität der Arbeit auf den
kulturellen Bereich zu legen, bedeutete, nicht an einer
anarcho-syndikalistischen Gewerkschaftsform festzuhalten oder eine solche
wiederzubeleben, sondern eine Kulturorganisation zu gründen, bei gleichzeitigem
Engagement der Mitglieder auf Gemeindeebene, um ihre Ansichten und Ideen beim
Wiederaufbau einsetzen zu können.
Die meisten der ehemaligen FAUD- und nunmehrigen FFS-Mitglieder organisierten
sich gemäß dieser dritten Variante (van der Linden/ Thorpe) gleichzeitig in der
SPD, den DGB-Gewerkschaften (was einer grundsätzlichen pragmatischen Bejahung
von Tarifverträgen gleichkommt), den Kommunalparlamenten (keine offizielle
FFS-Linie!) - und natürlich als Betriebsräte, um dort "in allen verantwortlichen
Stellen" als Vorbildfiguren im Sinne föderalistisch-anarchistischer Ideen tätig
zu sein. Wieder kann hier ein Spagat in der Organisierung deutscher
Anarcho-Syndikalisten festgestellt werden, diesmal jedoch nicht zwischen den von
van der Linden und Thorpe genannten Möglichkeiten eins und zwei (wie es noch bei
der FAUD der Fall war), sondern zwischen eins und drei. Denn einerseits wurde
die FFS eigens als Ideenorganisation für die Erhaltung, Förderung und
Weiterentwicklung anarchistischer und syndikalistischer Bestrebungen konzipiert.
Auf betrieblicher Ebene wurde die eigenständige anarcho-syndikalistische
Organisationsform zugunsten nüchterner Tageskämpfe (hier besonders in der
existentiellen Versorgungsfrage der Nachkriegsjahre), aber auch aufgrund eines
von großen Teilen der FFS angestrebten "Gemeindesozialismus" vollständig
aufgegeben. Das Machtvakuum des Staates und die dadurch gestiegene Bedeutung der
Gemeinden beim Wiederaufbau böten nach dem auf die FFS maßgeblichen Einfluß
ausübenden Rudolf Rocker ein ideales Betätigungsfeld für "positive Mitarbeit",
wodurch auch das Recht, gehört zu werden und "unsere Ansichten zur Geltung zu
bringen", erworben würde.
Aus: FAU-Bremen (Hrsg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven, Bremen
2005
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