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Fritz Kater:
Fünfundzwanzig Jahre Freie Arbeiter-Union
Deutschlands (Syndikalisten)
Mit dem 17. Mai 1923 sind es 25 Jahre, als in Halle a. S. die „lokalorganisierten
oder auf Grund des Vertrauensmännersystems zentralisierten Gewerkschaften
Deutschlands“ zu ihrem ersten Kongreß zusammentraten, zu dem Zweck, eine, alle
einzelnen isoliert dastehenden Lokalorganisationen usw. zu einem geschlossenen
Bund zusammenzufassen. Dieser Kongreß machte sich schon aus dem Grunde
notwendig, weil seit dem Kongreß in Halberstadt 1892, der erste, den die
Generalkommission für die Zentralverbände einberufenen, die Vernichtung der
Lokalorganisationen ausgesprochenen und für die deutsche Gewerkschaftsbewegung
den strengsten Zentralismus proklamiert hatte. Aber nicht nur dies allein hätte
schon weit früher die Einberufung eines solchen oben erwähnten Kongresses, wie
erst 1897 notwendig gemacht. War doch mit dem Bestreben, die Gewerkschaften in
Deutschland in Zentralverbände zu organisieren verbunden, alle Aufklärung in den
Versammlungen über öffentliche und politische Angelegenheiten und ganz besonders
ein Einwirken auf diese durch die Gewerkschaft, aufzugeben und sich lediglich
auf den Tageskampf um bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen einzustellen.
Gerade letzteres aber war damals der Hauptgrund der sogen. Lokalisten, den
Verbandszentralismus abzulehnen und zu bekämpfen, waren sie doch damals, als
revolutionäre Sozialdemokraten und Mitglieder der Partei, der sehr richtigen
Ansicht, „dass der sogenannte gewerkschaftliche Kampf um Verbesserung der Lage
der Arbeiter auf dem Boden der heute bestehenden Ordnung nicht geführt werden
kann, ohne das Verhältnis der Arbeiter zu dem heutigen Staat und seinen Organen
der Gesetzgebung und Verwaltung scharf und bestimmt zu berühren;...“daß weder
eine wesentliche Verbesserung der Lage der Arbeiter noch eine genügende
Vermehrung ihrer Rechte von der Humanität oder von dem guten Willen der heutigen
Gesellschaft zu erwarten ist, sondern anerkanntermaßen nur der Kampf ums Recht
das Recht bildet;...daß dieser Kampf aber nur dann mit dem nötigen Nachdruck und
der nötigen Einheitlichkeit von den Arbeitern geführt werden kann, wenn er in
seinem Charakter als Klassenkampf der Arbeiterklasse gegen ihre Ausbeutung
erkannt und geführt wird usw.“
Diese Prinzipienerklärung, die der erste Kongreß 1897 in Halle beschloß, war
aber ganz besonderer Hinderungsgrund, den Verbandszentralismus in Deutschland zu
verwirklichen. Standen doch diesen Bestrebungen die verschiedenen deutschen
bundesstaatlichen Vereinsgesetze entgegen, die ausdrücklich ein „Inverbindungtreten“
solcher Vereine, die diese Dinge tätigten, untersagte und mit Auflösung und
Bestrafung bedrohte.
Die sogen. Lokalisten waren aber damals der Meinung, dass die
sozialdemokratische Partei, der sie sich vollinhaltlich und vorbehaltlos
verschrieben hatten, den zentralistischen Bestrebungen der Generalkommission und
deren politische Neutralitätserklärung ihrer Gewerkschaften den nötigen
Widerstand entgegensetzen und bei dem revolutionär gesinnten Gewerkschaften
entsprechende Rückenstärkung finden würde. Das war eine bedauernswerte
Selbsttäuschung, die auf dem ersten Kongreß dann auch allseitig eingesehen
wurde.
Es war der Delegierte Heinrich Riecke von der Organisation der Maurer
Braunschweigs, der über den Punkt der Tagesordnung referierte: „Der
Zusammenschluß der lokalorganisierten oder auf Grund des Vertrauensmännersystems
zentralisierten Gewerkschaften Deutschlands.“ Er bedauerte, dass der Kongreß
nicht schon eher stattgefunden habe. „Leider hätten selbst Blätter wie der
„Vorwärts“ der Sache kein entgegenkommendes Benehmen gezeigt. Und der Redakteur
des Volksblattes für Harburg, Wilhelmsburg und Umgegend habe auf den an ihn
gerichteten Wunsch, den Aufruf zum Kongreß in dem von ihm redigierten Blatte
abzudrucken, geantwortet: „Ihren mitfolgenden Aufruf drucke ich im Volksblatt
nicht ab, und zwar nicht etwa wegen unverständlicher Angst, sondern weil ich auf
einen derartigen Ausfluß schnoddrigen Berlinertums nur abweisend reagieren
kann.“ Karl Thiel
Das war der Geist, von welchem damals schon sozialdemokratische Redakteure gegen
den Klassenkampfgedanken erfüllt und auf dem Reformismus eingestellt waren.
An diesem ersten Kongreß nahmen 39 Delegierte teil. Mehrere davon haben einige
Jahre später mit den Zentralverbänden Frieden geschlossen. Sie sind teils
persönlich, teils mit ihrem ganzen Ortsverein ins gegnerische Lager
übergeschwenkt. Manche davon sind die schärfsten Gegner der syndikalistischen
Bewegung und in gut dotierten Stellen stramme Zentralverbändler geworden. Das
aber nur nebenbei.
Der Kongreß wählte auch eine Geschäftskommission und zu deren Vorsitzenden den
Maurer Fritz Kater, Berlin. Ebenso nahm er auch Stellung zu der Herausgabe einer
Zeitung. Das Organ erhielt den Namen „Die Einigkeit“ und die erste Nummer
erschien am 19. Juni 1897 in 10.000 Exemplaren. Die Zeitung erschien zunächst
14- tägig, unter der Redaktion des 1904 verstorbenen Genossen Gustav Keßler,
eines alten Kämpfers, der zu den bestgehassten Männern der Reaktion zählte und
auf Grund des „Sozialisten-Gesetzes“ am meisten verfolgt wurde.
Dank der Opferfreudigkeit und des Arbeitsdranges der Männer von damals, nicht
zuletzt der des Genossen Karl Thieme (Kassierer und Expedient) war es möglich,
das Organisationsschiff, trotz aller Stürme, Felsen und Klippen, die ihm
zunächst die Zentralverbandsväter, bald aber auch die sozialdemokratische
Partei, und besonders deren Hauptvorstand geschlossen zur Behinderung schufen,
in offener Fahrt zu halten. Ein schweres Ringen, oft bis zur Verzweiflung, war
freilich ständiger Fahrtgenosse.
Intrigen und offener Verrat von innen und außen waren in Kauf zu nehmen und wäre
nicht der antiautoritäre Sozialismus und die Erkenntnis von der Notwendigkeit
des revolutionären Klassenkampfes der treibende Faktor gewesen, von dem eine
Reihe der damaligen Kameraden bis ins tiefinnerste durchdrungen waren, dann
stände es dahin, ob es heute in Deutschland eine syndikalistische Bewegung
überhaupt geben würde.
Im Anfang führte unsere Föderation den Namen: „Vertrauensmänner-Zentralisation
Deutschlands“, der 5. Kongreß, der vom 22. bis 25. September 1901 in Berlin
tagte, beschloß, sie von da ab: „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ zu
nennen. Immer klarer wurden die Richtlinien in prinzipieller wie auch
organisatorischer Hinsicht herausgearbeitet und mit diesem der Abstand zwischen
unserer Bewegung und den Zentralverbänden immer breiter und tiefer. Mit ihm aber
auch der von der sozialdemokratischen Partei, da sich die Generalkommission und
die Vorstände der größeren Verbände immer mehr unter ihre Botmäßigkeit und
Abhängigkeit stellte. Es ist hier nicht am Platze, all die Kämpfe aufzuhählen,
die ausgefochten wurden, um die Bewegung nicht erdrosseln zu lassen. Erwähnt sei
hier nur, dass die Einigungsversuche des Parteivorstandes in den Jahren 1902 und
1903 der Bewegung gewaltigen Schaden zugeführt haben. Wurde doch dadurch die
Werbetätigkeit für die „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ auf ´Grund
des sogen. Burgfriedens während der Verhandlungszeit von beinahe zwei Jahren
gänzlich unterbunden, die Intriganten und Renegaten bekamen die beste
Gelegenheit, als Maulwürfe zu arbeiten. Wurde auch damals der Ruin unserer
Bewegung noch abgewehrt, und konnte diese selbst 1904 sogar die
Generalstreikpropaganda in ihrer Agitation mit aufnehmen, so lag das nicht an
dem guten oder bösen Willen der Halben und Übelwollenden, sondern an der Energie
der Klarblickenden, die für ihre Überzeugung mit Mannesmut zu kämpfen wussten.
Hielten sich aber bis 1904 die Wühler in den eigenen Reihen noch ziemlich tief
unter der Oberfläche, so kamen sie von 1906 an immer mehr zum Vorschein. Seitdem
die Bewegung aber in ihrem Programm „die Propaganda für die Idee des Massen-
resp. Generalstreiks“ mit eingestellt hatte, und die Generalkommission und deren
Wochenschriften (damals 57 Verbandszeitungen), in Bezug auf uns nur noch von
Anarcho-Sozialisten, Anarcho-Syndikalisten usw. sprachen und sich drei
Parteitage, 1906 in Mannheim, 1907 in Essen, 1908 in Nürnberg mit dem Ausschluß
der „Lokalisten“ aus der Partei beschäftigten, da war die Zeit für diejenigen
gekommen, die nach den Futtertrögen der Verbändler schielten.
Der 8. Kongreß im Januar 1908 brachte dann auch die Entscheidung. Mehr als die
Hälfte der an die „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ angeschlossenen
Organisationen und deren Mitglieder wurden von dieser losgerissen und von den
früheren Saulussen, die nun offen zu verbändlerischen Paulussen geworden waren,
in diese übergeführt. Einige von den Renegaten rückten sofort in Amt und Würden,
teils in den Verbänden, teils in der sozialdemokratischen Partei ein, andere
begnügten sich mit Versprechungen. Der Parteitag in Nürnberg gab dann dazu
seinen Segen, indem er jegliche Gemeinschaft zwischen der Partei und unserer
Bewegung aufhob, soweit eine solche überhaupt noch bestehen sollte.
Vierzehn Jahre also hat unsere Bewegung schon mit keiner besonderen politischen
Partei irgendwelche Gemeinschaft. In schwerem Ringen hat sie sich bis 1914
behauptet. Im Vordergrunde ihrer Tätigkeit stand neben der Führung des
Tageskampfes um die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, die
Propaganda für die Idee des Generalstreiks, des Anti-Militarismus, des
Anti-Patriotismus, für den Austritt aus den Landeskirchen, der
antikonfessionellen Religiosität, des Antinationalismus und des autoritätslosen
Sozialismus. Von den Verfolgungen seitens der Staatsautoritäten und ihrer
Organe, Geld- und Gefängnisstrafen, die wegen der Agitation in Wort und Schrift
über manchen tätigen und bekannten Kameraden verhängt wurden, braucht hier nicht
gesprochen werden. Das sind Selbstverständlichkeiten, die mit in Kauf genommen
werden mussten. Ebenso selbstverständlich auch, dass am 5. August und am 8.
August 1914 zuerst das Weitererscheinen des „Pionier“, dann der „Einigkeit“
während der ganzen Kriegsdauer verboten wurde, die Zeitungen der
Sozialdemokratischen Partei und der deutschen Zentralverbände konnten aber ruhig
weitererscheinen und die Redakteure der letzteren wurden zum größten Teil vom
Militärdienst befreit. Mehr denn dreißig unserer Kameraden wurden aber in
mehreren rheinischen Orten schon am 1. August auf Grund ihrer früheren
antimilitaristischen Propaganda oder nur wegen der Zugehörigkeit zu unserer
Bewegung in die Gefängnisse geworfen. (Schutzhaft nennt man das in Deutschland,
die für manche bis zu zwei Jahren dauerte.)
Alle Strafen, Verfolgungen, Zeitungs- und Redeverbote haben aber nicht vermocht,
den revolutionären Geist zu ertöten. Die Organisation konnte nicht gänzlich
zerschlagen werden. Kaum war der Zusammenbruch des alten Regimes vollbracht, da
regten sich die alten Genossen allerorts und verkündeten den syndikalistischen
Geist. In Jahresfrist (12. Kongreß 1919) konnte mit einiger Genugtuung
festgestellt werden, dass die Bewegung nun durchaus stabil und die von ihr
ausgehenden Ideen tiefe unausrottbare Wurzeln in der deutschen Arbeiterklasse
und darüber hinaus auch in Kreisen der Intellektuellen geschlagen haben.
Mit dieser Verehrung soll daher auch all derer gedacht sein, die diese Stunde
nicht mehr erlebten, sowie derer, die altershalber von der öffentlichen
Tätigkeit zurücktraten, die der Bewegung selbstlos alles gaben, was sie an
Körper- und Geisteskraft aufbringen konnten. Ihnen gebührt nicht zum wenigsten
die Anerkennung, dass heute in allen Landen vom Syndikalismus in Deutschland,
seiner Prinzipienerklärung und seinem organisatorischen Aufbau gesprochen wird
und die Klassengenossen bestrebt sind, mit dieser, unserer Bewegung in ein
festes internationales Bundesverhältnis zu kommen.
Es lebe der anti-autoritäre Sozialismus!
Hoch die syndikalistische Internationale
F.K.“
Aus: „Der Syndikalist", Nr.
20/1922
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