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Fritz Linow

Eine unmögliche Entscheidung des Reichsarbeitsgerichtes

„In Heft 9 der ‚Internationale’ wurde bereits zu einer Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts Stellung genommen, die der Freien Arbeiter-Union Deutschlands die Vertretungsberechtigung für ihre Mitgliedschaft vor den Arbeitsgerichten und damit in weiterem Sinne auch für andere Entscheidungsbehörden, abspricht. Die Arbeit ‚Kollektivvertrag und direkte Aktion’ befaßte sich schon mit dem wesentlichsten Punkt, der dem ablehnenden Entscheid des Reichsarbeitsgerichts zugrunde lag.

Wie ein roter Faden zieht sich durch das Urteil vom 30. Mai 1930 der Begriff der direkten Aktion. Alle Einzelgründe des Reichsgerichts kehren im Endergebnis ihrer Betrachtungen und Untersuchungen immer wieder zur direkten Aktion zurück. Der entscheidende Senat des Reichsarbeitsgerichts hütet sich aber, von sich aus den Begriff direkte Aktion zu definieren. Aus diesem Grunde baut sich die ganze Entscheidung des Senats auf bloße Redensarten auf; denn das Fehlen einer genauen Begriffsbestimmung der direkten Aktion in den Entscheidungsgründen muß wohl oder übel zu einer falschen rechtlichen Wertung dieses Begriffes führen, zumal eine genaue und erschöpfende Deutung und Formulierung des Begriffes direkte Aktion selbst in den diesbezüglichen Erklärungen, Beschlüssen und Publikationen der Freien Arbeiter-Union Deutschlands nicht gegeben ist.

Zweifelsohne hatte das Reichsarbeitsgericht die Pflicht, genau zu umreißen, was es unter direkter Aktion verstanden wissen will. Dieser wesentliche Mangel in den Entscheidungsgründen muß mit Naturnotwendigkeit das ganze Urteil in seinen einzelnen Bestandteilen ungenau machen und darüber hinaus zu entscheidenden Irrtümern führen. Das Reichsarbeitsgericht behandelt den Begriff direkte Aktion nicht anders als irgendeine unwesentliche Redensart, die man wohl mit seinen Gehörsinnen aufnimmt, über die aber das Hirn keinerlei Verstandesarbeit verliert. Und doch ist gerade der Begriff direkte Aktion für den erkennenden Senat das Entscheidende. Er macht ihn zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen und legt ihn dem Urteil zugrunde, indem er sagt, mit dem Wesen der direkten Aktion ist der Abschluß von Tarifverträgen nicht vereinbar, da die mit demselben verbundene Friedenspflicht zu einer zeitweiligen Nichtanwendung der Kampfmittel verpflichten würde.

Das Wesen der direkten Aktion ist aber nicht untersucht, so daß der Senat seine Betrachtungen eigentlich mit Luftbegriffen führt und demzufolge zu einer bloßen juristischen Schaumschlägerei kommt. Diese Tatsache erhellt aus der Ansicht des Reichsarbeitsgerichts, daß die Tarifverträge, soweit solche überhaupt von der Freien Arbeiter-Union Deutschlands oder ihren Ortsvereinigungen abgeschlossen sind, dann, wenn sie sich nicht umgehen ließen, ebenso Mittel des Tageskampfes sind wie die anderen Methoden der direkten Aktion. Sie sind nach Ansicht des Senats abgeschlossen oder werden abgeschlossen, um eine Benachteiligung der Mitglieder im einzelnen Falle zu vermeiden aber stets mit dem nicht verhehlten Vorbehalte, die in den Tarifverträgen eingegangenen Verpflichtungen zu jeder Zeit, wenn es zum Zwecke des revolutionären Kampfes erforderlich erscheint, mit den anderen Methoden der direkten Aktion zu brechen.

Danach also ist das Reichsarbeitsgericht der mehr als sonderbaren Auffassung, daß die Tarifverträge Methoden der direkten Aktion sind. Diese Anschauung ist absolut unmöglich. Was mögen wohl die reformistischen gewerkschaftlichen Spitzenverbände zu einer solch unsinnigen Auslegung des Begriffes Tarifvertrag sagen? Sicherlich werden sie sich mit Zähnen und Klauen gegen eine solche Begriffsauslegung wehren. Dazu hätten sie auch alle Berechtigung: denn der Tarifvertrag kann wohl eine Folge der Methoden der direkten Aktion sein, nie aber ist er selbst eine Methode derselben, da er ja, wie das Reichsarbeitsgericht zu unzähligen Malen festgestellt hat und auch in dem hier besprochenen Urteil wiederum feststellt, in seiner gegenwärtigen Form dem Wirtschaftsfrieden zu dienen hat. Er trägt also alle Merkzeichen eines Zustandes, welcher Folge von Kampfmaßnahmen ist oder herbeigeführt wurde, um solche zu verhindern.

Es ist nicht zu verwundern, wenn der Senat bei seinen Jongleurkunststücken mit Begriffen zu der recht sonderbaren Feststellung kommt, daß die Freie Arbeiter-Union Deutschlands nur deshalb und nur zu dem Zweck Tarifverträge abschließt, um eine Benachteiligung ihrer Mitglieder zu verhindern.

Was ist denn der Tarifertrag rechtlich überhaupt? Doch nichts anderes als ein Vertragswerk, mit dem die Vertragspartner verhindern wollen, benachteiligt zu werden. Die Arbeiterschaft schließt durch ihre Gewerkschaft einen Tarifvertrag ab, um den materiellen Inhalt der Einzelarbeitsverträge durch denselben zu bestimmen. Sie will sich durch Vertragsabschluß davor schützen, daß die Unternehmerschaft gegebene Zusagen bricht, sie will sich also vor Benachteiligung schützen. Jeder Tarifvertrag geht in seinen rechtlichen Konsequenzen auf den Willen zurück, Benachteiligungen zu verhindern.

Schließt die Freie Arbeiter-Union Deutschlands Tarifverträge ab, dann ganz selbstverständlich, um ihre Mitgliedschaft vor Benachteiligung zu bewahren. Diese Tatsache kann doch aber nicht gegen die Tariffähigkeit der FAUD sprechen. Ganz im Gegenteil, sie muß dafür sprechen; denn der Tarifvertrag kann doch hinsichtlich seiner Beziehungen zum Rechtsanspruch der Vertragsparteien nicht als Ding an sich gewertet werden, sondern muß betrachtet und beurteilt werden als eine Zeiterscheinung, die wie alle anderen Erscheinungen überaus vielfältig ist und tausenderlei Beziehungen zur Umwelt hat, die dazu beitragen, den Betrachtungsgegenstand ständig zu verändern. Das Reichsarbeitsgericht behandelt den Tarifvertrag aber als etwas Absolutes und muß dann verständlicherweise allerlei Kapriolen machen, um bisher durchaus eindeutige Begriffe auf den Kopf zu stellen.

Es ist auch eine durch keinerlei Beweise gestützte Behauptung, daß der Tarifvertrag, den die FAUD zum Zwecke der Verhinderung der Benachteiligung ihrer Mitglieder abschließt, die Tendenz zeigt, daß er mit den anderen Methoden der direkten Aktion gebrochen wird, weil schon beim Vertragsabschluß aus diesem Vorbehalt kein Hehl gemacht wird. Eine ebenso unbewiesene Behauptung ist es, wenn das Reichsarbeitsgericht die Feststellung macht, daß die FAUD jede Bindung an Tarifverträge verwirft und diese Weisheit zusammen mit der Vorinstanz, dem Landesarbeitsgericht Duisburg, aus der programmatischen Grundlage und aus der Prinzipienerklärung des Anarcho-Syndikalismus folgert. Das höchste deutsche Gericht für Arbeiterrechtsentscheidungen hat damit einen Weg der Urteilsfällung, Urteilsbildung und Urteilsbegründung eingeschlagen, der allen bisherigen Grundsätzen zuwiderläuft. Bisher war es in der Rechtsprechung üblich, daß alle schwerwiegenden Entscheidungsgründe nur dann für die Urteilsbildung Verwendung fanden, wenn ihre materielle Beweiskraft ausreichte, d.h., wenn eine aus irgendwelchen Umständen gezogene Folgerung auch durch materielle Beweise erhärtet werden konnte. Mit beweislosen Behauptungen kann eine so wichtige Frage, wie die Tariffähigkeit einer Organisation nicht entschieden werden. Bloße Folgerungen haben allein noch keineswegs Beweiskraft. Selbst dann nicht, wenn man glaubt, annehmen zu dürfen, daß die eigene Folgerung den Tatsachen, wenn auch nicht ganz entspricht, so doch zumindest nahe kommt. Im Strafrecht gilt als vornehmster Rechts- und Entscheidungsgrundsatz die Formel: im Zweifelsfalle für den Angeklagten. Auch für die übrigen Rechtsgebiete muß dieser Grundsatz entsprechende Beachtung finden.

Das Reichsarbeitsgericht aber hat sich darüber hinweggesetzt und willkürlich Folgerungen gezogen, Gegensätze konstruiert und Behauptungen aufgestellt, die die Urteilsfindung beeinflußten und zu Rechtsirrtümern führten, welche absolut offenkundig sind; denn bei richtiger Würdigung des Begriffes direkte Aktion und bei der Beweiserhebung über die Stellung der FAUD zum kollektiven Arbeitsvertrag hätte der entscheidende Senat zu einer anderen Grundlage für seine Entscheidung kommen müssen.

Ein weiterer und durchaus wichtiger Grund für die Ablehnung der FAUD ist für das Reichsarbeitsgericht die Stellung derselben zum Schlichtungswesen. Nach Meinung des erkennenden Senats setzt die Anerkennung der Tariffähigkeit voraus, daß der in Frage kommende Verband das geltende Tarif- und Schlichtungswesen anerkennen muß. Dabei spielt es für den Senat keine Rolle, ob der Verband mit den Grundsätzen des Tarif- und Schlichtungswesens einverstanden ist oder nicht. Der Wille dieses zu ändern oder zu beseitigen ist dem Senat gleichgültig, wenn Tarif- und Schlichtungswesen nur als geltend anerkannt werden und der Verband auch seine Aufgabe darin erblickt, im Rahmen desselben beim Abschluß von Tarifverträgen mitzuwirken. Soweit es sich bei diesen Feststellungen um die Tarifvertragsordnung handelt, kann man die Bedenken gegen die Formulierung des Reichsarbeitsgerichts auf sich beruhen lassen, das diese Verordnung zum Teil Selbstverständlichkeiten ausdrückt.

Sofern aber die Verordnung über das Schlichtungswesen in Frage steht, ist der Entscheidungsgrundsatz des Reichsarbeitsgerichtes zweifelsohne recht bedenklich; denn es muß in Betracht gezogen werden daß das Schichtungswesen durch eine Verordnung inkraft gesetzt wurde, die auf die sogenannten Ermächtigungsgesetze zurückgeht. Die Verordnung über das Schlichtungswesen vom 30. Oktober 1923 ist ein Ausnahmegesetz, welches zu einer Zeit erlassen wurde, als die Reichsregierung in Hinblick auf die Überwindung der Inflation dem Drängen der Schwerindustriellen nachgab, die verhindern wollten, daß die Arbeiterschaft sofort an die wertbeständige Währung anknüpfend umfassend Lohnaktionen organisierte. Das Schlichtungswesen sollte diese Lohnbewegungen auffangen und in eine für den Kapitalismus günstige Bahn drängen. Es zeigt alle Merkmale eines Sonderrechts, das unter außergewöhnlichen Umständen in Kraft gesetzt wurde. Ob man heute nach fast sieben Jahren, wo die Bedingungen, die zu dieser Verordnung führten, nicht mehr gegeben sind, rückhaltlose Anerkennung des Schlichtungswesens fordern kann, erscheint mir sehr fraglich.

Diese Zweifel werden auch nicht dadurch zerstreut, daß das Reichsarbeitsgericht darauf Hinwies, daß mit der Tarifvertragsordnung die abschließenden Verbände mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen und Pflichten ausgestattet wurden. Diese öffentlich-rechtlichen Befugnisse und Pflichten sind an sich noch keine Begründung für die Verpflichtung, das Schlichtungswesen als geltend anzuerkennen und in seinem Rahmen an dem Zustandekommen von Tarifverträgen mitzuwirken; denn es steht ja den Vertragsparteien frei, sich der Vertragshilfe zu vergewissern. Ein Zwang für die Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten vor Schlichtungsausschüssen besteht doch nur bei Vorliegen wichtiger Gründe oder wenn das ‚allgemeine Wohl’ gefährdet ist. In seiner Auswirkung ist also das Schlichtungswesen, abgesehen von den vorher geltend gemachten Einschränkungen, durchaus auf die Freiwilligkeit beschränkt. Eine solche Freiwilligkeit aber kann nicht durch einfachen Gerichtsbeschluß zu einem Zwang gestempelt werden, der die Anerkennung des Schlichtungswesens kategorisch fordert. Aus diesem Grunde vermag man dem Reichsgerichtsurteil nicht zu folgen, wenn es die Tariffähigkeit abhängig macht von der Anerkennung und Mitarbeit an den Schlichtungsbehörden.

Man kann der Entscheidung auch in einer ganzen Reihe anderer Fragen nicht folgen, besonders, wenn es an einer Stelle heißt, daß der Klassenkampf und die Einstellung der FAUD, die die Gegensätzlichkeit der Interessen zwischen Arbeiten und Unternehmern hervorhebt, nicht dazu berechtigen, die Tariffähigkeit zu verneinen, weil ja auch andere als tariffähig anerkannte Vereinigungen auf dem gleichen Grundsatz beruhen, dann aber in demselben Urteil aus einigen anderen viel unwesentlicheren Umständen die Tariffähigkeit verneint wird.

Wenn der Klassenkampf für die Tariffähigkeit keinen Hinderungsgrund darstellt, dann können auch die Methoden des Klassenkampfes kein Hinderungsgrund sein, falls sie einzig und allein den Zweck verfolgen, die Arbeiterschaft durch schnelles und direktes Handeln den Unternehmern gegenüber in Vorteil zu setzen. Anerkennt man den Klassenkampf als eine Folge der Privat- und Eigentumswirtschaft, dann muß man auch die Wirkungen des Klassenkampfes und seine Methoden anerkennen. Das eine schließt das andere in sich.

Besonders sinnfällig wird die rechtsirrige Ansicht des Reichsarbeitsgerichts, wenn die Entscheidung betont, daß die Satzungen der FAUD das von der Rechtssprechung geforderte Ziel der Wahrung und Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder gegenüber den Unternehmern und der Einflußnahme auf die Festsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen enthält. Da aber die Bestrebungen der FAUD nach Meinung des Reichsarbeitsgerichts in den Satzungen nicht erschöpfenden Ausdruck gefunden haben, kommt es zu einer Verneinung der Tariffähigkeit, weil nach der Prinzipienerklärung angenommen werden muß, daß die FAUD eine Bindung an Tarifverträge grundsätzlich ablehnt. In überaus origineller Weise wird diese Ansicht mit Zitaten aus der Prinzipienerklärung begründet. Diese Art, die Tarifunfähigkeit der FAUD zu beweisen, ist neu und muß zu stärkstem Protest herausfordern. Letzten Endes kann man mit Zitaten alles beweisen, das macht recht wenig Mühe; zumal das Reichsarbeitsgericht, wie eingangs erwähnt, nicht sagt, was es unter direkte Aktion, die man aus der Prinzipienerklärung einige Male als Begriff zitiert, versteht. Nichts sagt das Urteil über die Methodik und über die Anwendungsformen der direkten Aktion. Es zählt nur die einzelnen Kampfmittel auf, ohne selbst zu denselben Stellung zu nehmen und sie auf ihr Wesen hin zu prüfen. Aus den Resolutionen der verschiedenen Kongresse der FAUD geht keineswegs hervor daß die direkte Aktion aus individuellen Akten besteht. Ferner stellen sie für die Mitgliedschaft keine zwingenden Vorschriften dar, sondern formulieren nur, sind Meinungsausdruck. Daraus aber die Tarifunfähigkeit herzuleiten, ist unverständlich.

Von Wichtigkeit ist auch, daß das Reichsarbeitsgericht die Feststellung macht, daß nicht nur die Freie Arbeiter-Union Deutschlands – gewissermaßen als Verband wirtschaftlicher Vereinigungen – Tariffähigkeit nicht besitzt, sondern auch die einzelnen Ortsvereine habe keine Tariffähigkeit, da sie auf der gleichen Grundlage basieren wie die FAUD. Diese Einstellung ist um so unverständlicher, als eine ganze Anzahl von Ortsvereinen Träger oder Mitträger von Tarifverträgen sind. Das müßte als ein Zeichen der Tarifwilligkeit immerhin vermerkt worden sein, wenn es sich um die Feststellung handelte, ob bei der FAUD oder ihren Ortsvereinen Tariffähigkeit vorliegt. Das Reichsarbeitsgericht hat ganz im Gegenteil diese Tarifwilligkeit nicht einmal anerkannt, sondern gesagt, diesem Abschluß einzelnen Tarifverträge können Erwägungen rein taktischer Natur zugrund liegen, die es haben angezeigt erscheinen lassen, die Durchführung der Grundsätze der Prinzipienerklärung auf einige Zeit zurückzustellen. Auch hier hat der erkennende Senat verkannt, aus welchen Gründen Tarifverträge abgeschlossen werden. Der Tarifvertrag ist immer nur eine taktische Maßnahme, denn er entspringt keinem Prinzip, sondern den Verhältnissen. Einen Tarifvertrag schließt man nicht zum Vergnügen ab, sondern weil Gründe, meist sogar recht schwerwiegende Grunde, dafür vorliegen.

Das Reichsarbeitsgericht hat zweifellos mit dieser Entscheidung dazu beigetragen, den Begriff tariffähige oder wirtschaftliche Vereinigungen noch mehr zu verwirren.“

Aus: „Die Internationale“, Nr. 10/1930, abgedruckt in: FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven. Ergänzungsband, Bremen 2006

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