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Am
13. März putschte Kapp gegen die Reichsregierung in Berlin. Am 15. März begann
der eiligst ausgerufene Generalstreik. Bis zum 29. März traten allein im
Ruhrgebiet mehr als 330.000 Arbeiter und Arbeiterinnen in den Streik. Eben diese
ArbeiterInnen bildeten in den Städten spontan die sogenannten Arbeiterwehren.
Außerdem organisierten sich 80. - 120.000 Menschen ebenso spontan in der „Roten
Ruhr Armee“. Hinter der Front passierte aber noch viel mehr, und genau darum
soll es in dieser Broschüre gehen.
Eine Besprechung in
spanischer Sprache findet sich hier
Auszug aus der Broschüre
Die vergessene Revolution (Auszug)
erstellt von Rudolf Mühland
Beitrag zur Broschüre der FAU Duisburg (Hg.): März 1920 - Die vergessene
Revolution im Ruhrgebiet
In diesem Kapitel möchte ich der Frage nachgehen in wie weit es berechtigt ist
von den Ereignissen des März 1920 von einer „vergessenen Revolution“ zu
sprechen. Dabei ist die Frage inwieweit es sich um ein vergessenes Ereignis
handelt schnell beantwortet. Fragt man die heutigen BewohnerInnen des
Ruhrgebiets, Düsseldorfs und des Wuppertals, so wird man allenfalls ein wenig
Schulbuchwissen zu hören bekommen. Aber auch in der wissenschaftlichen Literatur
sieht es nicht besser aus. Hans-Ulrich Wehler widmet in seiner „Deutsche
Gesellschaftsgeschichte“ gerade einmal eine Seite diesem Thema. Noch immer ist
das schmale Büchlein „Beitrag zur Geschichte und Soziologie des Ruhraufstandes
vom März-April 1920“ aus dem Jahre 1921 von Gerhard Colm das Standardwerk zum
Thema. Ohne Erhard Lucas und seiner Dreibändigen „Märzrevolution 1920“ wüssten
wir aber selbst das wahrscheinlich nicht. Lucas Arbeit zeichnet sich durch
besonders genaues Quellenstudium aus und bildet die Hauptquelle dieser
Broschüre.
Die Frage inwieweit es sich aber auch um eine Revolution gehandelt hat ist schon
etwas schwieriger zu beantworten. Anhand des Zustandekommens der
Aktionsausschüsse und der Vollzugsräte, sowie der Art und Weise wie sie während
dieser drei bis vier Wochen gehandelt haben und anhand der Roten Ruhrarmee
selbst versuche ich eine Antwort zu geben.
Aktionsausschüsse & Vollzugsräte
Schon am 13. März bildeten sich sogenannte „Aktionsausschüsse“ (u.a. in
Elberfeld). Diese wurden zumeist von den drei Arbeiterparteien (SPD, USP und
KPD) gebildet. Die Gewerkschaften waren nur in sofern in den Aktionsausschüssen
vertreten als das führende Gewerkschafter auch Parteimitglieder waren, oder die
Ausschüsse in den Hochburgen der Syndikalisten gegründet wurden (z.B. Hamborn,
Mühlheim) Diese Ausschüsse organisierten in einigen Städten (z.B. Bochum) den
bewaffneten Kampf gegen den Putsch. Im Anschluss an die Vertreibung der
Reichswehr und der SiPo übernahmen die Ausschüsse weiterreichende kommunale und
staatliche Aufgaben. Damit einher gingen zwei weitere Veränderungen. Zum einen
benannten sich die Aktionsausschüsse in „Vollzugsräte“ um und zum anderen
änderte sich teilweise die Zusammensetzung der Räte durch Erweiterung oder
Verschiebung nach links (z.B. Essen). Am 25. März, das ganze Ruhrgebiet ist
unter der Kontrolle der Vollzugsräte, gründen diese in Essen den „Zentralrat“.
Zu den Aufgaben der Aktionsausschüsse und Vollzugsräte gehörten neben der
Übernahme bzw. der Kontrolle der lokalen Verwaltung, die Bewaffnung der
Arbeiter, die Entwaffnung der reaktionären Bürger und in den ersten Tagen auch
die Verhaftung und Vernehmung der bekannten Mitglieder der Einwohnerwehren und
der Zeitfreiwilligen-Korps die sich besonders brutal am Kampf gegen die Arbeiter
beteiligt hatten (z.B. in Essen, Mühlheim, Remscheid). In Hagen wurden auch die
Personen verhaftet die sich auf einer Kontaktadressenliste des Hauptmanns
Lichtschlags befanden
Kontrolle der Verwaltung
Die Kontrolle bzw. die Übernahme der Verwaltung ist in jeder Revolution ein
herausragendes Problem. Einerseits ist in der Verwaltung eine Menge Wissen, zum
Beispiel über vorhandenen Wohnraum usw., konzentriert, andererseits verfügen die
ArbeiterInnenorganisationen oft nicht über die Fachleute die Notwendig wäre
einerseits die Verwaltung zu übernehmen und diese andererseits diese den neuen
(sozialistischen) Verhältnissen anzupassen. Trotzdem haben schon zu Beginn der
Kämpfe im Ruhrgebiet die Aktionsausschüsse in einigen Städten wichtige
Hoheitsrechte übernommen.
Der Mühlheimer Vollzugsrat bezeichnete es als seine Aufgabe, „den alten
reaktionären Beamtenapparat zu reorganisieren“. Die Vertreter der
Betriebsbelegschaften wurden aufgerufen nur solche Genossen in den Vollzugsrat
zu wählen, welche in den Unterkommissionen „ihre Posten ausfüllen“ könnten „und
sich durchzusetzten verständen“ Die große Zahl der Kommissionen welche der
Vollzugsrat gründete (unter anderem Kommissionen für die städtischen Betriebe,
die Schulen, Polizeifragen, Wohnungs-, Gesundheits- und Wohlfahrtswesen) lässt
ahnen für wie vielschichtig er seine Aufgabe verstand.
Der Hagener Aktionsausschuss besetzte einige Räume des Rathhauses und leitete
die Beschlagnahmung von wichtigen Gütern (Autos, Benzin, Lebensmittel) Waffen
und Munition ein, ordnete Hausdurchsuchungen an und verhaftete und verhörte
stadtbekannte Einwohner, die auf Hauptmann Lichtschlags Kontaktmännerliste
verzeichnet waren. Dieser Zustand hielt allerdings nur bis zum 17. März an. Nach
einem Gespräch mit dem Oberbürgermeister einigte man sich darauf das: „Die
politische Gewalt im Stadt- und Landkreis Hagen übt der Aktions-Ausschuss aus…
Die Geschäfte der Verwaltungsbehörden bleiben in den Händen der hierzu
bestimmten Organe.“ Ähnliche Übereinkünfte gab es auch in anderen Orten.
Insgesamt arbeitete die Verwaltung, um einige bekannte reaktionäre Beamte
erleichtert, unbeirrt weiter. Allerdings unter der politischen Kontrolle der
Arbeiterschaft bzw. ihrer Beauftragten. Die Löhnung der Mitglieder der
Vollzugsräte erfolgte in der Regel über die Stadtkassen. In Lünen wurden 40
Mark, in Bottrop 50 Mark, in Duisburg 40 Mark für Männer und 30 Mark für Frauen
pro Tag gezahlt. In Mühlheim und Oberhausen mussten die Unternehmer für die aus
ihren Betrieben stammenden Vollzugsräte aufkommen.
Die Versorgungslage
„Alle Lebensmittel sind beschlagnahmt. Die Geschäfte sind verpflichtet, nur die
rationierten Mengen abzugeben. Einzelhaushaltungen, die über mehr als ihre
rationierten Anteile verfügen, sind verpflichtet, dies beim Vollzugsrat …
anzumelden. Alle die, welche der Bekanntmachung zuwiderhandeln, werden
strengstens bestraft; der Bekanntmachung nicht nachkommende Geschäfte werden
geschlossen. Haussuchungen nach Lebensmitteln dürfen nur von dafür Beauftragten
und sich als solche Legitimierenden vorgenommen werden. Diese Bekanntmachung ist
in allen Lebensmittelgeschäften öffentlich auszuhängen.“, so der Vollzugsrat
Essen.
Insgesamt war die Versorgungslage schon vor dem Kapp-Putsch im Ruhgebiet sehr
schwierig. In allen Städten gab es Nahrungsmittelrationierungen. Diese Situation
verschärfte sich während des Putsches und natürlich auch während der
revolutionären Erhebung der Ruhrarbeiter. Schon sehr bald kamen die Aktions- und
Vollzugsausschüsse auf die Idee im Ausland (Holland, Belgien) Kohlen gegen
Lebensmittel zu tauschen. Leider reichte die Zeit bis zur Unterwerfung nicht aus
die gemachten Ansätze sich entwickeln zu lassen. Ganz „vergessen“ wurde die
Möglichkeit innerhalb des Ruhrgebietes zu einem Ausgleich der Vorräte zu kommen.
Schon vor dem Putsch hatten die Städte Lebensmittelvorräte angelegt. Allerdings
waren die Bestände sehr unterschiedlich. Hatte Dormund Vorräte für ca.: eine
Woche, so fanden sich in Mühlheim Vorräte für bis zu ca.: vier Wochen.
(Gegen-)Propaganda
Diese Situation nutzten die Gegner der Revolution für ihre Propaganda.
Hunderttausende Hunger-Flugblätter wurden über den Städten des Reviers
abgeworfen oder per Boten in diese hineingeschmuggelt. Gleichzeitig wurden
Lebensmittellieferungen die auf dem Weg ins Revier waren in der gesamten
Republik immer wieder gestoppt oder gleich zurückbehalten.
In dieser Situation erklärte der Arbeiterrat Wattenscheid: „Ist der Putsch von
Rechts beendet? Nein, denn welchen Zweck hätte es sonst, die Lebensmittelzufuhr
zu erschweren oder gar zu verhindern? Der Proletarier soll klein gemacht werden,
und da ist jedes Mittel recht, auch die Hungerpeitsche. Die Selbsthilfe, Kohle
gegen Lebensmittel zu tauschen, und eiserne Disziplin müssen über die kurze Zeit
helfen. Für die Freiheit schmeckt die Steckrübe besser wie für die Kriegsfurie
von 1916.“
Die Propaganda richtete sich aber nicht nur gegen die „Roten“ sondern auch gegen
die „Juden“. Die antisemitische Hetze blieb jedoch nicht ohne Reaktion. „Der
Vollzugsrat Bottrop erließ eine öffentliche Erklärung, er erblicke „in dieser
schmutzigen Kampfesweise nicht allein eine Hetze gegen die Juden, sondern vor
allen Dingen eine solche gegen den Sozialismus“; er ordnete an, die Zettel
überall sofort zu entfernen und die Verbreiter anzuzeigen, damit sie vor das
Revolutionstribunal gestellt würden.“ Am 24. März veröffentlichte der
Vollzugsrat in Hamborn folgenden Aufruf: „Die alldeutschen reaktionären Elemente
haben es verstanden, mit lügenhaften Worten, Schriften und Plakaten die
Volksseele zu vergiften. Sie senden gekaufte Hetzer unter die Arbeiter, um diese
irrezuführen.
Genossen, hört nicht auf diese Lügen! Die reaktionären Elemente … möchten Euch
gerne zu Pogromen gegen die Juden verleiten, um wieder im Trüben fischen zu
können. Was ihnen bisher trotz aller Mühen nicht gelungen ist, wollen sie jetzt,
wo die Volksseele erregt ist, durchführen.
Genossen, die Juden sind nicht Arbeiterfeinde, aber welche Euch gegen die Juden
aufwiegeln. Die Juden sind von dieser Richtung ebenso unterdrückt worden, wie
wir Arbeiter! Die böswilligen Gerüchte, dass die Juden aus ihren Häusern auf die
Arbeiter geschossen haben, und das sie Maschinengewehre und Waffen in ihren
Häusern verbergen haben sich nach stattgefundenen scharfen Untersuchungen auch
alle als unwahr erwiesen….“
Diese zwei Beispiele sollen reichen um zu zeigen das im März 1920 die
ArbeiterInnenbewegung noch in der Lage war sich gegen den Antisemitismus zu
wehren, diejenigen welche die Juden unterdrücken als diejenigen zu
identifizieren welche auch die ArbeiterInnen unterdrücken und das Ziel der
antisemitischen Kampagne offen zu legen, nämlich einerseits die Spaltung der
Bewegung und andererseits die Ablenkung auf ein völlig falsches Ziel, um so die
ArbeiterInnenbewegung leichter besiegen zu können.
Gefängnisse, Zuchthäuser ...
Natürlich wurde im März 1920 auch der Ruf nach „Freilassung aller politischen
Gefangenen“ laut. Und überall dort wo die Arbeiter die Reichswehr und die SiPo
vertreiben konnte wurde dies auch sofort in die Tat umgesetzt. Bemerkenswert
sind dabei zwei Dinge die sofort ins Auge stechen. Zum einen wurden tatsächlich
nur die politischen Gefangenen befreit1, zum anderen verordnete der Vollzugsrat
Mühlheim: dass alle diejenigen Arbeiter und Angestellten, welche nach dem 9.
November 1918 wegen rein politischer Sachen inhaftiert waren, ganz gleich, ob
Schutzhaft, Untersuchungshaft oder Strafhaft, von demjenigen Betrieb und
Arbeitgeber für entgangenen Verdienst entschädigt werden, wo sie zur Zeit der
Verhaftung beschäftigt waren“. So musste zum Beispiel die Maschinenfabrik
Thyssen 59.ooo Mark allein für die Schutzhaftgefangenen des Zuchthauses Werl von
1919 und das Stahl- und Walzwerk Thyssen 52.ooo Mark für ehemalige politische
Gefangene zahlen. Wie auch in anderen Fällen übernahm der Vollzugsrat Oberhausen
am 26. März diese Verordnung.
In Duisburg und Essen gab es in der kürze der Zeit belegbare Ansätze zu
Gefängnisreformen. Eine geplante „Unterbrechung des Strafvollzuges“ (Duisburg)
für alle nicht politischen Gefangenen kam zwar nicht zustande, aber man wollte
„den materiellen und geistigen Bedürfnissen der Gefangenen möglichst gerecht“
werden. Um dies sicher zu stellen hat die Gefängnisverwaltung die Bildung von
„Gefangenenräten“ erlaubt, welche „die materiellen und geistigen Interessen der
Gefangenen vertreten“ sollten. In Essen hatte der Vollzugsrat eigens eine
Gefängniskommission eingerichtet. Diese Kontrollierte nicht nur den Zustand der
Gefängnisse, sondern hat den Gefangenen auch „alle möglichen Erleichterungen
verschafft“ wie zum Beispiel „Lese-, Schrei- und Raucherlaubnis“ sowie die
Unterbringung (tagsüber) in Gemeinschaftszelle.
...Justiz I
Ansätze zu einer Reformierung der Justiz finden sich, belegbar, leider auch nur
in zwei Fällen. Im ersten Fall erklärte der Vollzugsrat Lennep das die
Verhandlungen des Schöffengerichts nur noch unter seiner Kontrolle stattfinden
würden und das er „Urteile, die dem gesunden Volksempfinden widersprechen, für
ungültig erklären“ würde.
Im zweiten Fall wurde der Elberfelder Rechtsanwalt Bernhard Lamp, welcher zu
dieser Zeit Mitglied der FAUD war, mehrfach aktiv.
Am 17. März wurde das Militär aus der Stadt vertrieben. Am 18. März besetzte
dann eine Gruppe bewaffneter Arbeiter das Amts- und Landgericht. Alle Zugänge
wurden verbarrikadiert und alle anwesenden, bis auf die Arbeiter die in den
Gebäuden wohnten (Heizer, Pförtner) vor die Türe gesetzt. Mit dieser Aktion
reagierten B. Lamp und die Arbeiter auf die Tatsache, dass sich die
Gerichtsbeamten nicht am Generalstreik beteiligt hatten und es während der
Kämpfe gegen SiPo und Reichswehr sogar Seelenruhig eine Gerichtssitzung
stattgefunden hatte. Am selben Tag hatte der Aktionsausschuss (SPD, USP, KPD)
einen Aufruf zum Abbruch des Streikes veröffentlicht. Schon am nächsten Tag
kamen die Gerichtsbeamten wieder und beriefen sich erfolglos auf den Aufruf des
Aktionsausschusses, die Arbeit wieder aufzunehmen. Die Gerichtsbeamten wurden
kurzerhand für beurlaubt erklärt und hatten das Gebäude wieder zu verlassen. Das
Gericht sollte nach Lamp solange geschlossen bleiben, bis die Arbeiter auf ihren
Versammlungen die Grundsätze einer neuen Rechtsordnung beschlossen hätten. Noch
am selben Tage wurde B. Lamp auf einer Massenversammlung zum Volksbeauftragten
für die Sozialisierung der Rechtspflege ernannt. Leider ist das Manifest,
welches er am Gerichtsgebäude anschlug nicht mehr erhalten. Seine Vorstellungen
bezüglich einer Reform der Justiz lassen sich aber aus einem Artikel einer von
ihm geplanten Tageszeitung erschließen:
„Komme niemand mit dem Einwand, dass die Rechtspflege nicht örtlich sozialisiert
werden könne, sondern durch Verfassungsgesetze für größere Gebiete sozialisiert
werden müsse. Das ist falscher Aberglaube, der nur von den Berufsrichtern
aufgebracht worden ist, damit sie besser ihre Laufbahn aufbauen können und eine
einheitliche Geheimsprache überall in Wirksamkeit setzten können, durch welche
sie sich selbst unentbehrlich für die Rechtspflege machen. Ich bitte die
gelehrten Richter, mir die Behauptung zu widerlegen, dass unsere Gesetze mehr
nach den Interessen der Rechtsprechenden als nach denen der Rechtsuchenden
gemacht worden sind … Nicht nur Ehrensachen und Streitigkeiten um Mein und Dein
sind so eingerichtet, dass man, obwohl recht hat, zu seinem Recht nicht kommen
kann, oder doch so spät, dass es eigentlich zu spät ist, nicht nur hier herrscht
berechtigte Empörung der Rechtsuchenden über das widersinnige gerichtliche
Verfahren. Auch die Strafrechtspflege hat einen solchen Stoff von Erbitterung
und Empörung geschaffen, dass der Funke, der jetzt hineingefallen ist, die
bisherige Strafrechtspflege fortsprengt. Der Erziehungsgedanke hat an die Stelle
des Strafgedankens zu treten. Die gedankenlose Einsperrung armer, schwacher
Menschen, die den rechten Weg nicht kannten oder sich darauf nicht halten
konnten, in Zuchthäusern und Gefängnissen widerspricht der Menschenwürde, ebenso
die Todesstrafe.“
Obwohl Bernhard Lamp von einer öffentlichen ArbeiterInnenversammlung für die
"Sozilaisierung der Justiz" beauftragt worden war, brach er seine Aktion ab,
nachdem sich der Aktionsausschuss "auf das entschiedenste" von ihm distanzierte
und erklärte das Lamp, keiner der drei Arbeiterparteien (!) angehören würde.
Entlarvend dabei der Kommentar der >Volkstribüne< (USPD-Blatt) über seine Person
und zu seinen Aktionen: "Ein Idealist... der sich keiner Ordnung unterstellt..."
Unterschlagen wird die Tatsache das er sich auf öffentlichen Versammlungen der
Arbeiterschaft bestätigen ließ. Außerdem bleibt das Blatt eine Antwort darauf
schuldig wie und in welche Richtung eine Veränderung der Justiz möglich, machbar
oder wünschenswert wäre.
...Justiz II
Eine „eigene Justiz“ bildete sich in diesem März trotzdem in Ansätzen aus. So
wurde in Lennep das abreißen von Bekanntmachungen des Vollzugsrates unter
Strafen gestellt. Vor allem Verleumdungen und Beleidigungen der bewaffneten
Arbeiter wurden nicht hingenommen. Besonders im westfälischen Teil des
Ruhrgebietes verstand man in diesem Punkt keinen Spaß. In Kamen, wo Arbeiter die
Husaren aus Paderborn geschlagen hatten, machte ein Pastor Besuche im
Krankenhaus. Am Bett verwunderter Husaren sprach er lobend von ihrem
„heldenhaften Kampfe gegen die Staatsfeinde“. Dann trat er an das Bett eines
verwundeten Arbeiters und hielt ihm das Gebot „Du sollst nicht töten“ vor. Ein
Mitglied der Arbeiterwehr nahm ihn fest und führte ihn zur Aburteilung nach
Bergkamen.
In Hohenlimburg wurde für Beleidigung der bewaffneten Arbeiter „Wagenwaschen auf
öffentlichen Plätzen“ angedroht. Als in Vorhalle bei Hagen der Leiter des
Lebensmittelamtes äußerte, „er müsse jetzt auch noch für die Spartakisten Essen
kochen“ (die Arbeiterwehr wurde in der öffentlichen Volksküche verpflegt), zog
man ihn zur Rechenschaft; er zahlte 300 Mark und nahm seine Äußerung wieder
zurück.
Rauhen Humor bewies der Arbeiterrat von Hagen, der einer Geschäftsfrau, die die
bewaffneten Arbeiter als faul bezeichnet hatte, folgendes Schreiben sandte:
„Die unterzeichnete Korporation bittet Sie freundlichst, morgen … von 8 bis 5
Uhr in der Küche Neue Schulstraße, wo für die kämpfenden Arbeiter Verpflegung
bereitgehalten wird, beim Aufwaschen und Zubereiten des Essens helfen zu wollen.
Wir erwarten, dass sie pünktlich 8 Uhr aus ihrem Hause gehen; sollte das nicht
zutreffen, würden Sie uns gestatten, Sie durch einen dieser Arbeiter, die Sie
als faul bezeichneten, abholen zu lassen.
Mit aller Ehrerbietung: Der Arbeiterrat.“
Bewaffnete Arbeiterschaft
a) Arbeiterwehr
Aus Sicht der Vollzugsräte war eine der wichtigsten Aufgaben die, die Bewaffnung
der Arbeiter unter ihre Kontrolle zu bringen.
So ordnete z.B. der Arbeiterrat Bochum an das alle Waffen die durch die
Eroberungen eines Transportes erbeutet wurden, wieder abgegeben werden müssen.
Diese Waffen sollten dann an Arbeiter ausgegeben werden welche mindestens seit
einem Jahr Mitglied in einer Arbeiterpartei oder einer Gewerkschaft waren.
Effektive Kontrolle über kämpfende Arbeiter konnten die Vollzugsräte aber nur
über diejenigen entwickeln welche sich nicht an der Verfolgung der Reichswehr
und der SiPo beteiligten. Diese Arbeiter blieben in ihren Stadtteilen und ihren
Betrieben. Dort bildeten sie Arbeiterwehren und übernahmen Sicherungsaufgaben.
Diejenigen Arbeiter welche die Reichswehr und SiPo verfolgte und später die
Front am Rande des Ruhgebiets bildeten, konnten weder durch die lokalen
Vollzugsräte noch durch den Zentralrat kontrolliert werden. Diese Arbeiter
entwickelten eine selbständige Organisation: Die Rote Ruhr Armee.
Zur Bildung dieser „Arbeiterwehren“ riefen die Vollzugsräte öffentlich auf. Die
Mitglieder wurden von den Vollzugsräten unter folgenden Gesichtspunkten
ausgewählt: militärische Ausbildung, zum Teil mit einer mindest Vorraussetzung
verbunden. Diese Maßnahme sollte sicherstellen das der Betreffenden überhaupt
etwas mit einer Waffe anzufangen weiß ein Mindestalter, das von Ort zu Ort sehr
unterschiedlich sein konnte (z.B. Buer: 24 Jahre, Remscheid: 18 Jahre)
persönliche Zuverlässigkeit, damit nicht jemand bewaffnet wird der damit nur
seinen eigenen „Vorteil“ im Sinn hat sozialistische Überzeugung,
Klassenbewusstsein.
Der Nachweiß der sozialistischen Überzeugung wurde von Stadt zu Stadt anders
gehandhabt. Grob lässt sich festhalten das der Nachweiß einer Organisierung in
einer der Arbeiterparteien oder einer Gewerkschaft ausreichte. Der Essener
Vollzugsrat ließ nur Arbeiter zu welche Mitglieder der USP oder der KPD waren,
das entsprach der Zusammensetzung des lokalen Vollzugsrates. In Bochum genügte
die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. In Dortmund (ein Zentrum der
Syndikalisten) kam man auch mit dem Ausweis der „Freien Vereinigung“ zur Wehr.
Die Größe der Arbeiterwehren war sehr unterschiedlich. Sie änderte sich von
Stadt zu Stadt und im verlaufe der Revolution. Hierzu ein paar Beispiele:
Buer: In der Woche des 18. März, die Stadt war gerade ein wichtiger
Durchzugspunkt der Roten Armee, wurde die Arbeiterwehr auf 200 Mann aufgestockt.
Schon in der Woche darauf wurde die Wehr wieder auf 80 Mann reduziert.
Dorsten: Hier verfügte der Vollzugsrat über eine Arbeiterwehr von 22 Mann
Düsseldorf: Mit bis zu 1.400 Mann findet sich hier sicherlich eine der stärksten
Arbeiterwehren.
Die Bewaffnung der Arbeiter war eine Sache. Eine andere, ebenfalls sehr
dringliche Aufgabe der Aktionsausschüsse und späteren Vollzugsausschüsse, war
die Entwaffnung der reaktionären Bürger. Der Dortmunder Vollzugsrat verfügte als
erstes das neben Waffen und Munition auch alle Waffenscheine, die nicht vom
Vollzugsausschuss ausgestellt waren abgeliefert werden müssen. Der Zentralrat in
Essen griff später diesen Gedanken auf. Um diesen Forderungen Nachdruck zu
verleihen kam es in vielen Städten zu Hausdurchsuchungen.
Ein Problem der Arbeiterwehren war die Versorgung der Mitglieder und ihrer
Angehörigen. Der Vollzugsrat in Mühlheim (Hochburg der Syndikalisten!),
beschloss am 25. März das:
„Alle… für die Sache der Revolution… tätigen Arbeiter und Angestellten… bis auf
weiteres von denjenigen Arbeitgebern zu entlöhnen [sind], bei denen sie zu
Beginn des Generalstreiks in Arbeit standen.“ Ihnen „ist derjenige Lohn zu
zahlen, den sie bisher verdienten; sie nehmen selbstverständlich an eventuellen
Lohnerhöhungen teil… Diejenigen Arbeiter und Angestellten, welche die …
Entlöhnung oder Entschädigung wegen Stellenlosigkeit gegen einen Arbeitgeber
nicht geltend machen können, erhalten dieselbe von der Stadtkasse gezahlt.“
Am 27. März beschloss der Zentralrat in Essen das „die großen Unternehmen“ die
Löhne weiter zu zahlen haben und: „Eventuell haben die örtlichen Vollzugsräte
die Lohnzahlung zu erzwingen“
Vielerorts musste die Besoldung der Arbeiterwehren zu großen teilen oder ganz
aus den Stadtkassen geleistet werden, da sich einerseits die Unternehmer
weigerten zu zahlen und andererseits die lokalen Vollzugsräte von sich aus den
Weg des geringsten Widerstandes einschlugen. Der Vollzugsrat Hattingen erzwang
unter Berufung auf diese Verordnung am 1.April die fälligen Zahlungen. Einen Tag
vorher begann in Asseln der Vollzugrat mit dem Verkauf von Kohlen aus dem
Vorratsraum der Zeche. Mit dem Gewinn (14.000 Mark bis zum Nachmittag des 30.03)
wurde die Arbeiterwehr gelöhnt.
Anstatt die Auseinandersetzung mit den Unternehmern zu suchen oder bei Boykott
durch selbige zur Selbsthilfe zu schreiten, kamen einige Vollzugsräte auf die
merkwürdige Idee die örtliche Polizei zumindest teilweise wieder ein zu setzten.
Einerseits waren für die Polizei ja Gelder im Haushalt vorgesehen und
andererseits verlagerte sich die Tätigkeit der Arbeiterwehren zusehends auf
polizeiliche Aufgaben.
Die Polizei ist jedoch einerseits seit jeher in sogenannten Krisensituationen
und bei offenen Klassenauseinandersetzungen als Unterdrückungsinstrument gegen
die Arbeiter und Arbeiterinnen eingesetzt worden und war andererseits auch in
den Märztagen in einigen Städten damit beschäftigt Demonstrationen zu
unterdrücken oder gar offen auf der Seite der Reichswehr und der SiPo gegen die
Arbeiter zu kämpfen. Trotzdem beschloss z.B. der Duisburger Vollzugsrat am
23.März die Polizei wieder bewaffnet (!) dienst tun zu lassen. Allerdings wurde
schon am morgen des 24.März die ersten Polizisten von der Arbeiterwehr wieder
entwaffnet. Kurz zuvor (20.März) hatte die Arbeiterwehr in Dortmund den
Vollzugsrat gezwungen den Beschluss, die Polizei wieder bewaffnet dienst tun zu
lassen, zurück zu nehmen.
In Barmen und Elberfeld wurden die Polizeidezernenten abgesetzt und durch neue
Personen ersetzt. In Barmen wurde darüber hinaus die gesamte Polizei nach Hause
geschickt und durch die Arbeiterwehr ersetzt. In Sterkrade und anderen Orten in
denen es nicht zu Kämpfen gekommen war wurde die lokale Polizei nicht
entwaffnet. Auf ihren Rundgängen wurden sie jedoch von bewaffneten Arbeitern
begleitet und kontrolliert.
Bei der Frage der Löhnung möchte ich an dieser Stelle kurz auf die Rote Armee
eingehen. Allen beteiligten des Aufstandes war es eine Selbstverständlichkeit
das die Rotgardisten eine Löhnung erhalten. Hätten die Beteiligten sich die Zeit
genommen über diesen Punkt nachzudenken, dann wäre ihnen evtl. etwas
entscheidendes aufgefallen. Die Mitglieder der Arbeiterwehren blieben in ihren
Heimatorten, lebten mit ihren Familien zusammen. Die Rotgardisten dagegen hatten
sich von ihren Familien getrennt. Außerdem wurden die unmittelbaren Bedürfnisse
nach Verpflegung, Unterkunft und medizinischer Behandlung der Rotgardisten
jeweils vor Ort gestillt. Die Familien dagegen waren auf den Lohn angewiesen um
Lebensmittel, Miete usw. bezahlen zu können. Durch die Auszahlung der Löhne an
die Rotgardisten bestand immer die Gefahr das das Geld während der Kämpfe
verloren geht. Gleichzeitig mussten die Familien ihre Lebensmittel und oft auch
die Miete anschreiben lassen, so das die Vermieter (vielfach die Firmen) genau
wussten wer bei der Roten Armee war.
Bewaffnete Arbeiterschaft
b) Die Rote Ruhr Armee
Die Arbeitermassen, die im Industriegebiet von Ort zu Ort zogen und schließlich
die Front an der Lippe aufbauten, waren von Anfang an kein ungeordneter Haufen,
sondern gliederte sich in kleinen Einheiten von Arbeitern, die sich gegenseitig
kannten. „Die Fabrikgemeinschaft, der Parteidistrikt, für die kleineren
Ortschaften der persönliche Bekanntenkreis waren die gegebenen Grundlagen für
eine organisatorische Kampfgemeinschaft“, schreibt ein Beobachter; den
Wohnbezirk und besonders die für den Bergbau typischen Junggesellenheime müsste
man hinzunehmen. In Hagen gingen die acht Parteibezirke der USP nach den ersten
Siegen daran, „selbständige Kompanien zu gliedern“ und sie mit den eroberten
Waffen und Bagagen „feldmarschmäßig auszurüsten“.
In Duisburg und Hamborn trat die Freie Arbeiter-Union geschlossen der Roten
Armee bei. Nicht mehr so unmittelbar aus bestehenden persönlichen oder
politischen Beziehungen heraus kamen später die Einheiten zustande, die von den
so genannten „Werbebüros der Roten Armee“ aufgestellt wurden. Aufnahmestellen
gab es in fast allen Städten. Sie wurden entweder von den Vollzugsräten oder
direkt (!) von der Roten Armee gebildet. Man kann annehmen, dass die Arbeiter
sich bei diesen Aufnahmestellen in Gruppen meldeten und darauf achteten,
möglichst mit Freunden, Bekannten und Kollegen zusammenzubleiben.
Die Roten Armee hatte im Kerne eine grundlegend andere Art der Organisierung als
das Militär oder die Polizei. Bei Militär und Polizei haben wir das Kommando der
Wenigen über die die gehorchende Masse, bei der Roten Armee haben wir den
bewussten Entschluss der Vielen zur solidarischen Aktion. Außerdem der
Unterschied in den Zielen: Da die unterdrückte Klasse weiter in der
Unterdrückung zu halten, hier ein Ende mit der Unterdrückung zu machen. Das
Prinzip der Freiwilligkeit war und blieb bis zu letzt, trotz aller Kopiererei
des militärischen, die Grundlage der Roten Armee. Dies kann man auch an
folgenden zwei Beispielen deutlich erkennen: zum einen blieb die einzige
Beschränkung die den Arbeitern, welche die Front verlassen wollten, auferlegt
wurde die, das sie ihre Waffen und Munition abgeben mussten. Zum anderen
erklärte die Mühlheimer Kampfzentrale noch am 1.April: „Die Löhnung für
Angehörige der Roten Armee vom obersten Befehlshaber bis zum kämpfenden Genossen
ist einheitlich 35 Mark pro Tag“. Dies war zwar nicht ganz richtig, denn die
Mühlheimer Kampfzentrale konnte nie ihren Anspruch auf die Oberleitung über die
gesamte Rote Armee verwirklichen, aber es ist dennoch ein beredtes Zeichen für
die Idee der Gleichheit.
Die stärke der Einheiten war ziemlich unterschiedlich. Nach der Niederschlagung
des Aufstandes stellte die Reichswehr aus Papieren der Roten Armee, die ihr in
die Hand gefallen waren, in einer Liste 110 solcher Einheiten zusammen, unter
denen sie bei 80 die Stärke angeben konnte. Nimmt man die Radfahrer und
Sanitäter aus dieser Liste heraus, bleiben 78 kämpfende Einheiten, von denen die
kleinste 15, die stärkste 347 Mann zählte. Der Durchschnitt war 70 Mann pro
Einheit. Das passt zu den Beobachtungen des Bürgermeisters von Dinslaken, der
die Rote Armee in Gruppen von 60-100 Mann einrücken sah. 70 Mann war auch zum
Beispiel die Stärke, in der das Werbebüro der Roten Armee in Gelsenkirchen neue
Einheiten zusammenstellte. Jede dieser Einheiten hatte einen Führer. Er musste
das Vertrauen der Einheit erworben haben, entweder durch seine Tätigkeit vor dem
Aufstand oder durch sein Verhalten während des Kampfes, meist wohl durch beides
zusammen. Laut einer Instruktion vom 24.März sind die „Mannschaften …
berechtigt, ihre Führer selbst zu wählen,…“.
Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Aufnahmebedingungen für die Rote
Armee, die in der Phase der Konsolidierung nach den Straßenschlachten
festgesetzt wurden.
In Oberhausen musste der sich Meldende mindestens eine halbjährige
Mitgliedschaft in einer linken Partei oder Gewerkschaft und eine einjährige
militärische Ausbildung nachweisen, durfte nicht jünger als 22 und nicht älter
als 45 Jahre sein und keine Vorstrafen „wegen ehrloser Verbrechen“ haben.
In Gelsenkirchen musste er die Mitgliedschaft in einer Freien Gewerkschaft oder
einer der drei Arbeiterparteien sowie militärische Ausbildung mit mindestens
halbjähriger Fronterfahrung nachweisen.
In anderen Städten dagegen wurde nur die Zugehörigkeit zu einer sozialistischen
Arbeiterorganisation verlangt:
In Hamborn mindestens zweijährige Mitgliedschaft in einer Partei oder
Gewerkschaft,
in Essen einjährige Mitgliedschaft in USP oder KPD;
in Horst rief der Aktionsausschuss „alle Arbeiter, welche auf dem Boden der
Diktatur des Proletariats stehen“, zum Eintritt in die Rote Armee auf. Das hatte
zur Folge das auch Jugendliche ein Gewehr erhielten, die nicht damit umzugehen
verstanden, ein Missstand, der immerhin zeigt, dass auf das politische
Bewusstsein das Schwergewicht gelegt wurde.
Der Lockeren Gliederung der Roten Armee in Basiseinheiten setzten die
Arbeiterparteien schon bald den Primat des Zentralismus und Militarismus (!)
entgegen. In einem Aufruf, den die Vorsitzenden der drei Arbeiterparteien in
Hagen am 21.März veröffentlichten, hieß es: „In allen Gemeinden sind die Wehren
streng militärisch zu organisieren. Bei der Gruppe ist anzufangen, es folgt der
Zug – Kompagnie – Bataillon. Die Organisation wird gemeinde- und kreisweise
zusammengefasst. Alle Orte haben der Zentrale in Hagen sofort die Anzahl der
Gewehre, MG, Artillerie und sonstiger Waffen anzugeben, desgleichen Munition,
Fahrzeuge, Feldküchen usw. sind fahrbereit zu machen. Die Ausbildung ist mit
größter Schnelligkeit zu betreiben“. Die in diesem Aufruf genante >Zentrale<
bestand aus zwei Kommissionen, die der Hagener Aktionsausschuss am Tag nach den
siegreichen Kämpfen in Dortmund und Elberfeld gebildet hatte: der
„Verteidigungs-Kommission“ mit dem Sitz im Arbeitersekretariat der Freien
Gewerkschaften, und einer Kommission für Fahrzeuge und Bagage, die ihren Sitz in
der Baugenossenschaft, „Arbeiterheim“ im Vorort Wehringhausen genommen hatte.
Die wichtigere erste der beiden Kommissionen wurde geleitet von dem 37jährigen
Sekretär der Metallarbeitergewerkschaft Josef Ernst (USP). Die von Ernst
geleitete Kommission nannte sich später „Zentraler Verteidigungsaussschuss“, und
zwar weil sie die Oberleitung über die ganze Rote Armee beanspruchte. Diesem
Anspruch wurde die >Zentrale< aber nie gerecht. Zum einen bildeten fast alle
Aktionsausschüsse und Vollzugsräte ähnliche Kommissionen, zum anderen entstanden
im laufe der Kämpfe insgesamt drei konkurrierende >Zentralen<.
Je größer das Arbeiterheer wird, umso weniger sind es die Vollzugsräte, die eine
höhere Organisation der Roten Armee ausbilden, umso mehr entsteht diese
Organisation aus der Roten Armee selbst heraus.
In Oberhausen erklärte sich nach dem Einmarsch der Roten Armee in der Nacht vom
19. auf den 20.März der 32jährige Schlosser Hermann Weidtkamp aus
Mühlheim-Styrum zum Stadtkommandanten und richtet sich im Gebäude einer
ehemaligen Polizeiwache ein. Seinem Stab gehörten außer einem Adjudanten ein
ehemaliger Polizeibeamter aus Mühlheim sowie vier Arbeiter aus Oberhausen an,
von denen einer, de Longueville, bereits in der Revolutionszeit von 1918/19
hervorgetreten war.
Am Nachmittag des 20.März, als in den Vororten Hamborns der Straßenkampf
zwischen den Arbeitern und dem Reichswehrregiment 61 tobte, bildete der
35jährige Straßenbahner August Müller, ebenfalls aus Mühlheim-Styrum, im Rathaus
von Hamborn eine Kampfleitung; als Mitarbeiter stellte sich ihm der Unabhängige
Hausschild, Mitglied des Hamborner Aktionsausschusses, zur Seite. Müller, der es
im preußischen Heer bis zum Unteroffizier gebracht hatte, leitete vom Rathaus
Hamborn aus die zweitägige Belagerung von Dinslaken. Am Morgen nach dem Abzug
der Reichswehr setzte er einen Stadtkommandanten von Dinslaken ein, zunächst
einen Arbeiter aus dem benachbarten Wehofen, dann endgültig den 29jährigen Hans
Ficks aus Düsseldorf. Nach der Einnahme Dinslakens verlegte Müller seinen Stab
vom Rathhaus Hamborn in die Gaststätte >Vier Linden< in Walsum. Ficks stand wie
Müller auf dem linken Flügel der KPD. Er war gegen die Beteiligung an den
Parlamentswahlen, für den Austritt aus den Gewerkschaften und für ein
freundliches Verhältnis zu den Syndikalisten. Nach seiner Ernennung zum
Stadtkommandanten von Dinslaken besetzte er die wichtigsten Posten mit
Düsseldorfern: die Kampfleitung sowie die Leitung der örtlichen Sicherheitswehr.
Von einem dieser Männer, dem Lithographen Starck ist bekannt das er ebenfalls
Linkskommunist war.
In einem Papier vom 26.März bezeichnet Müller die von ihm geleitete Kampfront,
vom Rhein bis Hünxe südlich und Peddenberg nördlich der Lippe, und unterteilt
sie in drei Abschnitte. Faktisch reichte sein Befehlsbereich bis Hünxe. Die
nördlich der Lippe stehenden Einheiten der Roten Armee wurden von Marl aus
zentralisiert.
Marl war am 20. März von auswärts von der Herrschaft des Militärs befreit
worden. Als erste waren Rotgardisten aus Bochum eingetroffen. Die Arbeiter von
Marl, darunter die Belegschaft der Zeche >Brassert<, die radikalste in weitem
Umkreis, traten zu einer öffentlichen Versammlung zusammen und schlossen die
Vertreter der SPD und der freien Bergarbeitergewerkschaft aus dem örtlichen
Aktionsausschuss aus, da sie keine Revolutionäre seien. Der Aktionsausschuss
benannte sich um in Vollzugsrat (vermutlich um neue linksradikale Mitglieder
ergänzt) und erklärte sich zur „Zentralleitung der Roten Armee“. Vorsitzender
war Karl Wohlgemuth (USP).
Sitz der Zentralleitung war das Gemeindegasthaus. Am 21. März überschritten in
Marl gebildete Rotgardisten-Einheiten an der Seite der aus den Revierstädten
gekommenen Arbeiter bei Haltern die Lippe und besetzten nach Kämpfen mit der
Reichswehr das Schloß Sythen. Ihr Führer war der Bergmann Felix Gräf, Mitglied
des Vollzugsrats Marl. Haltern war der nächste östlich Marl gelegene
Lippe-Übergang. Der nächste westlich gelegene war Dorsten. Die Kampfleitung in
Dorsten, die sich in der Nacht vom 21. zum 22. März im Hotel Eschershaus
bildete, bestand anscheinend vor allem aus Gelsenkirchenern. Ein Gelsenkirchener
war auch der Führer der Rotgardisten, die von Dorsten aus nördlich der Lippe
gegen Wesel vorstießen, Gottfried Karusseit." Am 24. März wurde zwischen Dorsten
und Marl eine Zentralisierung der Befehlsverhältnisse vorgenommen. Gräf erhielt
das „Oberkommando für den Abschnitt Ost", Karusseit das für den „Abschnitt
West"; beide unterstanden der „Zentralleitung" in Marl. Weitere Kampfzentralen
bildeten sich im Nordosten und Osten des Industriegebiets. Die erste entstand in
Kamen; sie wurde geleitet von dem Metallarbeiter Wilhelm Dieckmann aus
Dortmund." Am 23. oder 24. März übernahm der USP-Parteisekretär Walter Meis aus
Gevelsberg das Kommando der Roten Armee in Lünen, anscheinend auf Bitte des
Lehrers Stemmer. Meis, bis dahin Führer der Kampfleitung Gevelsberg, war eng mit
dem „Zentralen Verteidigungsausschuß" in Hagen verbunden, der von seinem
Parteifreund Ernst geleitet wurde. Die dritte Kampfleitung - neben Kamen und
Lünen - in diesem Raum entstand in Unna. Sie nannte sich „Hauptkampfleitung Ost"
und richtete sich im Hotel Niemeyer ein; ihr gehörten u. a. der Lehrer Stemmer
und ein Führer der Rotgardisten aus Witten, Brönnecke, an. Die Kampfleitung in
Unna stand ebenfalls in enger Verbindung mit der Zentrale in Hagen, während die
in Kamen mehr eine Filiale des Vollzugsrats in Dortmund war.
Werfen wir hier nebenbei einen Blick auf die Gebäude und Räumlichkeiten, die die
Rote Armee benutzte, und vervollständigen wir das Bild, das wir bereits darüber
gewonnen haben. Wir finden
1. Gebäude des vertriebenen Militärs und der Sipo. Sitz der Kampfleitung
Elberfeld wurde zum Beispiel das ehemalige Abschnittskommando von General v.
Gillhaussen am Mäuerchen, Sitz der Kampfleitung Mülheim die Kaserne des
Freikorps Schulz; die Meldestelle für die Rote Armee in Essen wurde in den
Kruppschen Baracken im Segeroth-Viertel eingerichtet."
2. Rathäuser als Sitz von Kampfleitungen (in wenigen Fällen). Diese Möglichkeit
wurde offenbar nicht als ideal empfunden, da z.B. Müller in Hamborn und Ficks in
Dinslaken nur vorübergehend in einem Rathaus blieben.
3. Schulen als Sitz von Kampfleitungen und als Küchen. Die Turnhallen waren
beliebt als Quartier der Kampfeinheiten
4. Gaststätten und Hotels als Sitz von Kampfleitungen, als Meldestelle für den
Eintritt in die Rote Armee, als Quartier und - vorn an der Front, z. B. in Hünxe
- als Lazarett.
5. Die Junggesellenheime der Zechen wurden vor allem als Verpflegungsstationen
benutzt. Das Junggesellenheim in Lohberg diente ferner als Quartier, als
Munitionsdepot und als Lazarett für leichter Verwundete (Schwerverwundete kamen
in die Krankenhäuser von Dinslaken).
Mit dem bisher geschilderten Aufbau von Kampfzentralen hatte es nicht sein
Bewenden; es gab Bestrebungen, eine darüber hinausgehende Zentralisierung zu
erreichen. Ein Ansatzpunkt ergab sich daraus, daß Müller in Hamborn bzw. Walsum
und Weidtkamp in Oberhausen Mülheimer waren. Man kann annehmen, daß beide von
Anfang an in enger Verbindung mit der Kampfleitung Mülheim standen, zumal diese
von einem Mann ihres politischen Standpunkts geleitet wurde: dem 33jährigen
Dekorationsmaler Karl I,eidner. Am 26. März kamen die Kampfleiter des westlichen
Frontabschnitts in Mülheim zusammen und gaben sich eine dreiköpfige Oberleitung,
gebildet aus Leidner, Weidtkamp und einem nicht näher bekannten Mann namens
Bovensiepen, der vermutlich ebenfalls Mülheimer war. Weidtkamp sollte die
Oberleitung gegenüber den Fronttruppen vertreten und außerdem das Kommando über
einen Teil des Frontabschnitts innehaben; das Kommando über den anderen Teil
fiel Müller zu. Leidner und Bovensiepen in Mülheim hatten demgegenüber die
operative Planung und Organisationsaufgaben wahrzunehmen. In Mülheim
herausgegebene Verfügungen wurden gestempelt „Hauptquartier R. A. D. d. P.", d.
h. „Hauptquartier Rote Armee Diktatur des Proletariats".
Es ist aufschlussreich, welche Traditionen sich hier durchgesetzt hatten.
Mülheim war im Kaiserreich die einzige Garnisonstadt im eigentlichen Ruhrgebiet;
1918 war die Stadt daher ein Zentrum der revolutionären Bewegung der Soldaten
gewesen. Im Soldatenrat Mülheim war dann wohl unter allen Soldatenräten des
Reviers die Erkenntnis am lebendigsten gewesen, daß die Bestrebungen und
Aktionen des Proletariats durch eine bewaffnete Macht abgesichert werden
müssten. Die Oberleitung Mülheim verstand sich als Kommandozentrale der gesamten
Roten Armee - ein Anspruch, der weit entfernt von der Realität war, den die
Oberleitung jedoch auszufüllen bestrebt war. Auf einer Konferenz in Marl am 30.
März, zu der Weidtkamp als Vertreter von Mülheim fuhr, erkannten die
versammelten Kampfleiter dieses Abschnitts einschließlich der Zentralleitung
Marl Mülheim als übergeordnete Befehlszentrale an. Für die Verbindung zwischen
Marl und Mülheim wurde eine Brieftaubenpost eingerichtet sowie ein Kurier
ernannt. Wenn im Protokoll dieser Konferenz der bisher von Marl geleitete
Kampfabschnitt nunmehr als „Abschnitt Ost" bezeichnet wird, so zeigt das, daß
die Mülheimer ihrem Anspruch nur teilweise gerecht werden konnten. Die wirklich
im Osten liegenden Kampfleitungen - Lünen, Kamen, Unna - konnten sie ihrem
Einflusss nicht unterwerfen. Das bedeutet nicht, daß diese Kampfleitungen für
sich operiert hätten, im Gegenteil: politische und persönliche Verbindungen
liefen von ihnen nach Marl, nur wurden diese Verbindungen nicht von Mülheim
kontrolliert. Andererseits konnte die Zentrale in Hagen erst recht nicht ihren
Anspruch auf das Kommando über die gesamte Rote Armee verwirklichen - schon aus
dem Grunde nicht, weil die Hauptmasse der Roten Armee vor Wesel konzentriert war
und Mülheim daher automatisch ein Übergewicht hatte. So ist der Feststellung von
Colm zuzustimmen, daß „eine regelrechte dauernde Fühlung zwischen dem
rheinischen und dem westfälischen Abschnitt fast nie bestanden" habe.
Militarisierung
In einer Instruktion vom 24.März heißt es:
„Die einzelnen Einheiten müssen sich verpflichten, gegen Unterschrift, dass sie
für unsere Ideale Sache bis zum letzten Atemzug einstehen und die Front ohne
Erlaubnis oder Befehl nicht verlassen ... Viele Leute sind sich der ernsten Lage
noch gar nicht bewusst. Unseren gefallenen Kameraden, die ihr bestes, was sie
hatten, ihr Leben, für unsere Ideale Sache hingaben, schon allein sind wir es
schuldig, den Kampf mit dem Kapitalismus bis zum Ende durchzuführen. Es gibt ein
altes Sprichwort, dass heißt: Einigkeit macht stark, Darum müssen wir einig
sein, um zum Ziele zu kommen. Unsere Parole heißt: Siegen oder sterben. […]“
In Marl wurde folgendes Dienstreglement erlassen:
„Zum Kampf gegen eine reguläre Truppe gehört eine Armee mit einer strengen
Disziplin und Manneszucht. Da uns ernste Kämpfe noch bevorstehen, und uns die
Erfahrungen gelehrt haben, dass wir nur durch straffe Haltung der Mannschaften
aktionsfähig sein können, sollen unsere Truppen auf folgender Grundlage
vereinigt werden:
§1
Jedermann, welcher der Roten Armee beigetreten ist, hat sich auf den Boden des
revolutionären Proletariats gestellt. Wem nachgewiesen wird, dass er nur aus
unlauteren Absichten, die unsere heilige Sache schädigen könnten, wird mit der
strengsten Strafe vorgegangen (Todesstrafe)
§2
Die Truppen haben den Befehlen ihrer Führer strengsten Gehorsam zu leisten. Wer
den Befehlen ihrer Führer nicht nachkommt, wird entwaffnet und streng bestraft.
§3
Feigheit vor dem Feind wird strikte mit dem Tode bestraft, ebenso wem Rauben,
Stehlen und Plündern nachgewiesen wird; sowie eigenes Beute machen…“
Die Rotgardisten sollten einen regelrechten Eid ablegen und zwar nach folgender
Eidesformel:
„Ich schwöre auf dem Programm der revolutionären Arbeiterschaft, dass ich die
hohen, heiligen Ideale für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit meinem
Herzblut erkämpfen will. Die mir vorgelesenen Paragraphen des Reglements sollen
mir stets als Richtschnur meines Handelns dienen.
Es lebe der Sozialismus!
Menschenrecht, wer Menschenantlitz trägt!“
Beide Dokumente zeigen die starke Übernahme von Denkweisen und Führungsmethoden
des Militärs. Dabei fallen doch ein paar Unterschiede auf. Während im ersten
Text die geschwollene Sprache auffällt, benutzen die Marler u.a. den typisch
militärischen Begriff „Feigheit vor dem Feind“, der jedes Zurückweichen im Kampf
von vorneherein als schimpflich bezeichnet und damit das Durchhalten zum Wert an
sich verselbstständigt. Ist im ersten Text von einer schriftlichen (Selbst-)Verpflichtung
die Rede, so nehmen die Marler einen Eid ab und drohen neben vielerlei schweren
Strafen für dies und jenes auch noch die Todesstrafe an!
Diese Anlehnung an das Militär ist leicht erklärlich, waren doch alle Akteure
vom Militär und Weltkrieg stark geprägt und abgesehen von den syndikalistischen
und einigen linksradikalen Organisationen waren alle Arbeiterparteien und die
Gewerkschaften strikt hierarchisch aufgebaut.
Aber diese beiden Dokumente liefern nicht nur Hinweise auf die geistige Struktur
der Führer der Roten Armee, sondern sagen auch etwas über die Motivation und die
Ziele der Bewegung aus:
- Kampf gegen den Kapitalismus (im ersten Text)
- Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Sozialismus (Marl)
Ergänzend noch ein Aufruf aus Gelsenkirchen, der für den Eintritt in die Rote
Armee wirbt:
„Arbeiter Gesinnungsgenossen …, wollt ihr frei sein von dem Joche des
Sklaventums, in welchem Ihr Jahrzehnte verbannt gewesen seid, wollt Ihr das hohe
Ideal der Menschheit: Frieden, Freiheit und Recht erkämpfen, so tretet ein in
die ‚Rote Armee’ zur Sicherung der Errungenschaften, die Eure Brüder der ‚Roten
Armee’ für Euch bis jetzt erkämpft haben. Jetzt oder nie. Arbeiter seid einig,
Arbeiter seid stark! Nur die Geschlossenheit des Proletariats führt zum Siege“.
Oder, der Aufruf des Vollzugsrats Lohberg:
„Kameraden, in der augenblicklichen Lage steht unsere ganze Existenz auf dem
Spiele. Wir kämpfen nicht für die Interessen einzelner Personen, sondern für die
Interessen der Kopf- und Handarbeiterschaft in ihrer kompakten Masse. Nicht Ruhm
noch Ehre, nicht Orden und Ehrenzeichen sollen Triebfeder unserer Aktion sein,
sondern die Sicherstellung unserer Daseinsberechtigung als Mensch …
Hinweg mit der modernen Sklaverei! … Wir wollen nicht im Staube kriechen vor
denjenigen, die durch Zufall ihrer Geburt sich ein von Oben-herab-blicken
anmaßen dürfen. Wir wollen nicht weiterhin besitzlose Proletarier sein, sondern
wir verlangen Miteigentumsrecht an den Produktionsmitteln. Wir verlangen
Mitverteilungsrecht an der von uns erzeugten Produktion. Wir verlangen
Eigentumsrecht an den Schätzen, die sich auf und unter der Erde vorfinden. Wir
verlangen das Paradies auf Erden und lassen uns nicht mehr mit der Hoffnung auf
ein besseres Jenseits abspeisen. Auch wollen wir kein zweites Berlin, kein
zweites Bayern, kein zweites Ungarn. Und, um das zu verhüten, müssen wir siegen
und sollten wir bis zur letzten Konsequent kämpfen müssen. Denkt an Rosa! Denkt
an Karl! … Darum der Appell an Euch, ihr Brüder an der Front, bedenkt, dass wir
Sieger bleiben oder sterben müssen“
Was durch alle texte durchscheint ist die Grundeinstellung: Kampf „bis zum
Ende“, „siegen oder sterben“, „jetzt oder nie“. Es scheint, dass dies genau die
Einstellung bzw. Einschätzung der Lage entsprach, mit der die Rotgardisten in
den Kampf zogen.
Auf einem Geschütz der Aufständischen stand mit Kreide geschrieben: „für Tod und
Leben“. „Siegen oder sterben!“ standüber dem Eingang eines Lazaretts der Roten
Armee in Oberhausen.
Ein bürgerlicher Journalist berichtete: „Die Stimmung …gipfelt in einem
fanatischen Hass gegen alles was Reichswehr heißt: ‚Noske’(SPD) ist der
Gattungsname für die Reichswehrtruppen, und diese Reichswehrtruppen sind, nach
ihrer Meinung, zu allem fähig. … wobei alles was Reichswehr heißt ‚Noske’ ist,
alles was zur Roten Armee gehört, ‚Jongens’ heißt“
So entspricht dem kollektiven Hass auf die Reichswehr ein
Zusammengehörigkeitsgefühl, das in dem Wort ‚Jongens’ zum Ausdruck kommt. Und
noch etwas anderes spielt eine Rolle in den Gefühlen der Arbeiter: die
verpflichtende Erinnerung an die Führer des revolutionären Proletariats. Sie
kommt vor allem in den beliebtesten Lied der Roten Armee zum Ausdruck, einem
umgedichteten Soldatenlied aus dem Weltkrieg (‚Auf, auf zum Kampf, zum Kampf
sind wir geboren’), dessen Refrain ‚Dem Kaiser Wilhelm haben wir’s geschworen,
dem Kaiser Wilhelm reichen wir die Hand’ umgeändert wurde in ‚ Dem Karl
Liebknecht haben wir’s geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand’. Von
den 110 Einheiten, welche die Reichswehr später ermittelt hatte, nannten sich
sechs ‚Rosa Luxemburg’ oder einfach ‚Rosa’, ‚zwei ‚Liebknecht’. Andere Einheiten
nannten sich nach Hugo Haase, der 1919 an den folgen eines Attentats gestorben
ist, Kurt Eisner, der 1919 von einem monarchistischen Attentäter erschossen
wurde und nach August Bebel. Der einzige nachweisbare Name der nicht aus der
deutschen Arbeiterbewegung stammt war der von Leo Trotzki, dem Führer der
russischen Roten Armee.
Über die Zusammensetzung der Roten Armee lässt sich nur sehr wenig mit
Sicherheit sagen. Einen relativ großen Anteil hatten sicherlich junge Männer.
Inwieweit Frauen an den Kämpfen direkt beteiligt waren kann ich nicht sagen,
aber eines ist sicher, auch Frauen waren in der Roten Armee. Eine Arbeiterin aus
Mühlheim, Mitglied der Freien Sozialistischen Jugend, überlieferte das die
Arbeiter-Samariter Schnellkurse durchführten: „Sie lehrten wie man Verbände
macht, Schienen anlegt oder wie Verwundete transportiert werden müssen.“ Über
die Arbeiter-Samariterinnen an der Front vor Wesel schrieb ein bürgerlicher
Journalist: „Ihr Mut und ihre Aufopferung verdienen rückhaltlose Bewunderung. In
der vordersten Feuerlinie sieht man angegraute Arbeiterfrauen und kaum
erwachsene junge Mädchen, die ungeachtet des Kugelregens tapfer ihr Liebeswerk
vollbringen“.
Insgesamt waren die Frauen allerdings nicht wirklich akzeptiert. Dies äußerte
sich innerhalb der Revolution zum Beispiel dadurch das die Vollzugsräte nichts
an der allgemeinen Minderbezahlung die Frauen gegenüber den Männern erdulden
mussten änderten. Innerhalb der Roten Armee gab es nicht wenige Kampfleiter die
entweder alle Frauen oder doch wenigstens die unverheirateten Frauen wieder
loswerden wollten. Offen antisexuell äußerte sich der Stadtkommandant von
Duisburg, Münzberg: „Ich werde einen Befehl herausgeben das Liebe an der Front
mit dem Tode bestraft wird. So etwas entwürdigt unsere heilige Sache“. Der
Vollzugsrat Duisburg vermutete gar Huren an der Front und verordnete: „Wer sich
unbefugt hinter der Front herumtreibt, wird erschossen; dies gilt auch für ..
weibliche Personen zweifelhaften Charakters“ … und ruft zur Denunziation auf:
„Wer Kenntnis von solchen demoralisierenden Umtrieben in der Roten Armee erhält,
ist verpflichtet, Anzeige zu erstatten“.
Die FAUD und die Rote Ruhr Armee
Auf dem Gründungskongress der FAUD (Dez. 1919) behauptete ein Duisburger
Delegierter das 90 % der Bergarbeiter im Ruhrgebiet syndikalistisch seien. Zu
Beginn des Jahres 1920 schrieb Augustin Souchy, Mitglied der Geschäftskommission
der FAUD im ‚Syndikalist’, das im Ruhrgebiet die Syndikalisten so stark seien,
dass sie, unter günstigen Vorraussetzungen und wenn es in nicht allzu langer
Zeit zu einer neuen Revolution komme, sie die revolutionäre Übernahme der
betriebe durch die Produzenten einleiten könnten. Normalerweise war die
Geschäftskommission mit solcherlei Prognosen immer sehr vorsichtig.
In den verschiedenen Abschnitten dieses Kapitels habe ich schon mehrfach auf die
Beteiligung der Syndikalisten hingewiesen. Darum sei hier nur noch mal daran
erinnert, das unter anderem in Essen, Mühlheim, Oberhausen, Duisburg, Dinslaken
und Dortmund Vollzugsräte mit FAUD-Beteiligung gebildet wurden. Am
konsequentesten waren die Mühlheimer Syndikalisten. Ihre Handlungen entsprachen
den anarcho-syndikalistischen Grundsätzen. Sie nahmen die Kollektivierungen der
spanischen Anarcho-Syndikalisten während der Revolution 1936/37 vorweg. Auch
dort gingen die Arbeiter unmittelbar nach dem Militärputsch daran, die
Produktion unter Ausschaltung staatlicher Instanzen zu kollektivieren.
Gerhard Colm hat anhand von Unterstützungslisten für die Opfer der
Märzrevolution, bei denen bei 374 die Gewerkschaftszugehörigkeit angegeben war,
diese Verteilung errechnet:
ADGB 53,2 %
FAUD 44,9 %
Hirsch-Dunkersche Gewerkschaften 0,8 %
Christliche Gewerkschaften 0,8 %
Demnach war die FAUD im Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl überproportional
vertreten. Syndikalisten waren jedoch nach Klan/Nelles keine Kampfleiter der
Roten Armee, auch wenn dies in der KPD- und SPD-Literatur zum Beispiel über die
Mühlheimer Kampfleitung der Roten Armee behauptet wird. Überhaupt wird in der
Literatur oft ganz unkritisch eine Nähe von Syndikalismus und Linkskommunismus
behauptet. Nach Lukas gibt es aber durchaus nennenswerte Unterschiede:
„Syndikalisten waren die ‚animateurs’ jener Großbelegschaften im Bergbau des
westlichen Ruhrgebiets, die 1918/19 die große Streikbewegung entfalteten und in
der Auseinandersetzung mit der Arbeitsgemeinschaft Politik der Gewerkschaften
politisiert worden waren; diese Belegschaften beteiligten sich führend an den
Straßenschlachten gegen Freikorps und staatliche Polizei und beachteten dann
während der ganzen Dauer des Aufstandes jederzeit die Möglichkeit, die die
Situation bot, vermieden jede abenteuerliche Einzelgängerei und brachen
schließlich, als sie eine weitere Fortsetzung des Kampfes als aussichtslos
betrachteten, die Bewegung außerordentlich diszipliniert ab. – Linkskommunisten
soweit sie als solche identifizierbar sind, waren dagegen Arbeiter, die durch
Erfahrungen mit der militärischen Konterrevolution von 1919 politisiert worden
waren, zum Teil Zuchthaus oder Gefängnis hinter sich hatten und vom Arbeitsplatz
her ziemlich isoliert waren (Straßenbahner, Dekorationsmaler, Maschinenbauer,…),
aber im überlokalen Kontakt miteinanderstehend und ‚opinion leaders’ kleiner,
verschworener Gruppen; im Aufstand von 1920 daher wegen ihrer militärischen
Erfahrung rasch wichtige Kommandostellen einnehmend, wurden sie ein schweres
Problem für die Bewegung, weil sie nichts als den bewaffneten Kampf gelten
ließen, jede politische Debatte innerhalb der Bewegung als Schwäche ansahen […]
und dann, als der bewaffnete Kampf verloren ging, nach der Devise ‚Sieg oder
Untergang’ handelten.“
Innerhalb der FAUD war die Beteiligung der an den Ereignissen, insbesondere an
der Roten Ruhr Armee nicht unumstritten. Besonders die Berliner
Geschäftskommission sprach sich gegen Gewaltanwendungen aus. Man einigte sich
schließlich darauf das während revolutionärer Ereignisse „Gewaltakte vorkommen
werden“. Für die Syndikalisten und Syndikalistinnen stellte sich jedoch nicht
die Frage „ob wir die sozialen Kämpfe und die soziale Revolution ohne Gewalt
durchführen können, sondern ob wir glauben, die neue Gesellschaft durch
Gewaltmittel aufrechtzuerhalten.“ Diese Haltung fand auch in die
Prinzipienerklärung der „Internationale(n) Arbeiter Assoziation“ ihren Eingang
und verdeutlicht so auch noch einmal im globalen Maßstab die Haltung der
SyndikalistInnen zur Gewaltfrage und zur Frage der sozialen Revolution: „Gegner
jeder organisierten Gewalt in der Hand irgendeiner revolutionären Regierung
verkennen die Syndikalisten nicht, dass in den entscheidenden Kämpfen zwischen
der kapitalistischen Gegenwart und der freien kommunistischen Zukunft die Dinge
sich nicht reibungslos abspielen werden. Sie anerkennen daher die Gewalt als
Verteidigungsmittel gegen die Gewaltmethoden der regierenden Klassen im Kampfe
für die Besetzung der Betriebe und des Grund und Bodens durch das revolutionäre
Volk. Ebenso wie die Expropriation der Betriebe des Landes von den
revolutionären Wirtschaftsorganisationen der Arbeiter praktisch ausgeführt und
auf die Bahn der sozialen Reorganisation geführt werden muß, so darf auch die
Verteidigung der Revolution nicht einer bestimmten militärischen oder irgend
einer anderen Organisation, die außerhalb der Wirtschaftsverbände steht,
überlassen bleiben, sie muß vielmehr den Massen selbst und ihren
wirtschaftlichen Organisationen anvertraut sein.“.
Die Betriebe: Verhältnis Aktionsausschuß/Vollzugsrat - Betriebsrat -
Trennung: Politik – Wirtschaft
Die Aktionsausschüsse in Bochum und Mühlheim haben die Belegschaften sofort
aufgefordert neue Betriebsräte zu wählen. Aktionsausschüsse u.a. Düsseldorf,
Remscheid und anderswo schlossen sich dieser Aufforderung an und bis zum 20.März
waren schon in vielen Betriebe in gesamten Revier neue Betriebsräte gewählt.
Dank des Militärs ging dies nicht überall reibungslos vonstatten. Allerdings
beanspruchten die Betriebsräte nicht die Führung der Bewegung und bekamen von
den Aktionsausschüssen auch keinerlei besondere Befugnisse zugesprochen.
Die KPD hatte zwar am 13 März in ihrem Wahlaufruf noch geschrieben: „Wählt
sofort in jedem Betrieb, in jeder Werkstätte euren Arbeiterrat. ... Wählt nur
Arbeiter, die auf dem Boden der Diktatur des Proletariats stehen. Die
Arbeiterräte treten sofort zur Vollversammlung zusammen, die dann die gesamte
Macht übernehmen muß ...“ In Essen, wo die KPD stark vertreten war, machte sie
sich daran ihren Plan in die Tat umzusetzen. Die geplante Vollversammlung der
Arbeiterräte konnte ungestört zusammenkommen. Womit die KPD allerdings nicht
gerechnet hatte, war, das SiPo und Einwohnerwehr die öffentlichen Gebäude
besetzten. Anstatt zu einer „proletarischen Lösung“ zu kommen, also SiPo und
Einwohnerwehr zu vertreiben, beschloss diese Versammlung einen 33 Mitglieder
umfassenden Ausschuss zu wählen, welcher einen Siebenerausschuss „zur Übernahme
der öffentlichen Gewalt“ bestimmen sollte. Von beiden Ausschüssen hörte man in
den folgenden Tagen nichts mehr. Nachdem die Arbeiter Reichswehr und SiPo
vertrieben hatten nahm die KPD ihre ursprüngliche Idee nicht wieder auf. Die
Vollversammlung der Betriebsräte Essen trat zwar noch zweimal zusammen,
allerdings nicht um einen neuen Vollzugsrat zu wählen. Der Vollzugsrat gestand
der Versammlung nur zu ausgeschiedene Vollzugsratsmitglieder Fraktionsweise zu
ersetzen. Das heißt schied jemand von der KPD aus, so wurde jemand aus der
KPD-Fraktion der Vollversammlung der Betriebsräte benannt. Wichtig scheint mir
an dieser Stelle festzuhalten das es sich bei den Betriebsräten nach dem willen
der KPD einzig und allein um >politische< Räte handeln sollte und nicht um
>wirtschaftliche<. Die >politischen< Räte sollten sich um Dinge wie die Probleme
der lokalen Verwaltung kümmern. Bei >wirtschaftlichen< Räten liegt das
Arbeitsfeld auf der betrieblichen Ebene, bzw. auf der Ebene der Fragen nach der
Sozialisierung der jeweiligen Branchen. Konsequenter Weise verkündete der
Essener Vollzugsrat dann auch: „Jetzt sei keine Zeit für Experimente“. In
Duisburg hatte die KPD-Führung zwar vor die Betriebsräte über die
Zusammensetzung des Vollzugsrates bestimmen zu lassen, aber dazu kam es dann
doch nicht. In Elberfeld und Barmen benutzte der Aktionsausschuss die
Betriebsräte nur als vermittelnde Instanz zwischen sich und der Arbeiterschaft.
Nur in zwei (!) Städten hatten die Arbeiter via Betriebsratswahlen direkten
Einfluss auf die Zusammensetzung der Vollzugsräte und stellten so das oberste
politische Organ der Arbeiterschaft dar. In allen anderen Orten wurden die
Vollzugsräte von den drei Arbeiterparteien gebildet.
In Dortmund erklärte Meinberg am 17. März, nur wenige Stunden nach dem Umsturz:
„Um die gesamte Arbeiterschaft zusammenzufassen, gibt es nur eine Möglichkeit:
die Schaffung von Arbeiterräten. Es finden in den Betrieben Wahlen zu
Betriebsräten statt..., dann treten die Gewählten zu einer Vollversammlung
zusammen und wählen dort einen Arbeiterrat.“ Nachdem der erste Termin einmal
verschoben wurde, trat die Vollversammlung am 29. März zusammen und wählte einen
neuen Vollzugsrat.
In Mühlheim war der syndikalistische Einfluss so stark, das die
basisdemokratischen Ideen wie selbstverständlich zur Anwendung kamen. In seiner
ersten Bekanntmachung bezeichnete sich der Aktionsausschuss als provisorisch. Er
wolle die „Macht nur solange ausüben, bis aus den Reihen der revolutionären, auf
dem Boden der proletarischen Diktatur stehenden Betriebsräte ein endgültiger
Arbeiterrat gewählt ist. Den revolutionären Obleuten der Betriebe bleibt es
überlassen den Wahlmodus usw. festzulegen“. Dieser Erklärung vom 20.März folgten
am 22. und 23. März die Wahlen der Betriebsräte und am 24. März die Wahl des
Vollzugsrates.
Wie bereits erwähnt, der Aufstand der Ruharbeiter kostete die Unternehmer etwas.
Neben der Löhnung der Arbeiterwehren, der Roten Armee und der ehemaligen
politischen Gefangenen, mussten sie auch für den Lohnausfall während des
Generalstreiks aufkommen. In diesen Punkten handelten die Vollzugsräte insgesamt
sehr ähnlich. Nur in seltenen Fällen rechtfertigten die Vollzugsräte
entsprechende Beschlüsse. In Lennep vertrat der Vollzugsrat die Meinung das „die
Drahtzieher … ,die die Massen des arbeitenden Volkes dazu gezwungen“ haben auch
zahlen müssen. In Dortmund und Datteln stellte man fest, dass „eine Gemeinschaft
konterrevolutionärer Kapitalisten mit monarchistischen Staatstreichlern“
bestehe.
Ganz anders sah es bei der Frage nach der Sozialisierung der Betriebe, der Macht
und der Rolle der Betriebsräte, der Arbeiterschaft insgesamt aus. Schon am
17.März konnte man folgenden Aufruf der USP in Hagen lesen:
„An alle Arbeiter und Beamte… Macht nicht aus Vorwitz in Betrieben Eingriffe
ohne reichliches Überlegen, stört die Produktion auf keinen Fall, sichert euch
eure Macht, nur dann können Hand- und Kopfarbeiter gewinnen; jetzt müssen wir
leben, um stark zu werden für unser Ziel: den Sozialismus“. Nur drei Tage später
erklärte ein Vertreter der USP auf einer Regionalkonferenz der drei
Arbeiterparteien, das in den Betrieben keinerlei Experimente vorgenommen werden
dürften. Erst nach dem Sieg im bewaffneten Kampf könne die Sozialisierung
begonnen werden. Dabei müsste diese dann immer noch behutsam und vor allem
zentral durchgeführt werden. In einem Flugblatt vom 21.März, welches von Ludwig
(USP) und von den Hagener Ortsvorsitzenden der SPD und der KPD unterzeichnet
war, wurde der Standpunkt begründet. Weiter oben habe ich schon den Essener
Vollzugsrat und seine Position erwähnt. Ergänzend sei angemerkt, das die
Vollversammlung der Arbeiterräte (22.März) den Vollzugsrat beauftragte „noch im
Laufe dieser Woche“ die Neuwahl der wirtschaftlichen Arbeiterräte zu
organisieren. Der Vollzugsrat führte diesen Auftrag nie aus. Am 30.März
beschloss dieselbe Vollversammlung „in Gemeinschaft“ mit den bisherigen
Arbeiter- und Angestelltenausschüssen „voll und ganz in den Betrieben
mitzubestimmen“. Reinirkens (Mitglied des Vollzugsrates) erklärte der
Versammlung, das sich der Vollzugsrat über diesen Beschluss hinweg setzten
werde.
Der Essener Vollzugsrat und die Hagener USP Führung stehen exemplarisch für die
Haltung, das Eingriffe in die betriebliche Struktur vermieden werden sollten.
Allerdings regte sich gegen den Vollzugsrat Essen ein gewisser Widerstand, auch
wenn er nicht so weit ging das die Arbeiterräte von sich und aus sich heraus
einen neuen Vollzugsrat wählten.
Aber es ging auch anders: Der provisorische Aktionsausschuss veröffentlichte am
24.März folgenden Aufruf: „An alle revolutionären, freiheitlich gesinnten Hand-
und Kopfarbeiter! … Die erste notwendige Forderung und Aufgabe ist: sofortige
Wahl revolutionärer Betriebsräte. Diese haben die Sozialisierung der Betriebe zu
organisieren, die Produktion fruchtbar zu gestalten und zu überwachen. Sie
bilden die Keimzelle zukünftiger Gestaltung.
Aus den Betriebsräten heraus und durch diese müssen die Kommunalvollzugsräte
gebildet werden. Letztere haben den alten reaktionären Beamtenapparat zu
reorganisieren“,
Die Betriebsräte haben hier eine Doppelte Aufgabe: Sozialisierung der Betriebe,
Branchen und Industrien einerseits und Reorganisation lokalen Verwaltung. Die
Zeit war allerdings zu kurz als das die selbst gestellte Aufgabe in vollem
Umfang hätte erfüllt werden können. Trotzdem machten die Mühlheimer praktisch
sichtbar in welche Richtung ihre Zielvorstellungen gingen. Der Direktor der
Straßenbahn, der Städtische Beigeordnete Wilms, war nicht bereit den neuen
Betriebsrat anzuerkennen, geschweige denn mit ihm zusammenzuarbeiten. Kurzerhand
wurde Wilms vom neuen Betriebsrat abgesetzt. Die neue, kollektive Leitung,
übernahm der Betriebsrat selbst. In der Begründung zu diesem Schritt erwähnte
der Betriebsrat auch, das durch Einsparung des großen Gehalts, das Defizit des
Betriebes verringert werden kann.
Deutlich wird die Stellung der drei wichtigsten politischen Richtungen, welchen
den Aufstand im März 1920 trugen. Die Trennungslinie verläuft nicht zwischen der
USP (welche in Hagen geistig bestimmend war) und der KPD (welche in Essen
geistig bestimmend war), sonder zwischen USP und KPD auf der einen Seite und den
Syndikalisten (welche in Mühlheim geistig bestimmend waren) auf der anderen
Seite. Während USP und KPD glaubten, grundlegende Eingriffe in die Führung der
Betriebe erst dann verantworten zu können, wenn der endgültige militärische Sieg
des Aufstands errungen sei, waren die Syndikalisten genau gegenteiliger Ansicht.
Beide Grundsätzlichen Positionen begegnen uns ca.: 16 Jahre später wieder. Im
Spanischen Bürgerkrieg nehmen die Kommunisten der KPE dieselbe Haltung an wie
USP und KPD 1920. Die Anarchosyndikalisten und Anarchosyndikalistinnen der
CNT-AIT kollektivierten dagegen die Produktion und die Produktionsmittel
unmittelbar und überall dort wo sie geistig vorherrschten.
Die Gründe für dieses Verhalten der Mühlheimer Arbeiterschaft will ich kurz
andeuten:
Dreh- und Angelpunkt der anarchosyndikalistischen Theorie ist das Ziel der
Herrschaftslosigkeit.
die Syndikalisten wollen den revolutionären Kampf ausschließlich auf der
wirtschaftlichen Ebene, in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Kapital
führen
Die Konsequenz aus beidem in einer Situation, in der eine revolutionäre Bewegung
ihre ersten Siege erfochten hat, liegt auf der Hand: diese Siege bieten eine
hervorragende Gelegenheit, um Herrschaft abzubauen bzw. zu beseitigen, und die
Syndikalisten nehmen diese Gelegenheit in dem Bereich wahr, den sie für den
einzig entscheidenden halten: in den Betrieben.
Die Argumente der USP und KPD
- das Veränderungen in den Betrieben die Lebensmittelversorgung gefährden
könnten
- das die Sozialisierung den Kampf der bewaffneten Arbeiter schwächen könnte
können nicht überzeugen.
Das Hauptargument der Syndikalisten leuchtet unmittelbar ein:
- die Kollektivierungsmaßnahmen sind weit davon entfernt den bewaffneten Kampf
zu schwächen oder auch nur ansatzweise zu gefährden. Im Gegenteil, sie geben dem
bewaffneten Kampf Rückhalt, Basis und vor allem ein Ziel und eine Richtung. Sie
steigern die Kampffreudigkeit der Aufständischen und treiben die politischen
Auseinandersetzungen vorwärts, indem sie allen die konkreten Ziele des Kampfes
zeugen.
In Mühlheim und Hamborn, einem weiteren Zentrum der Syndikalisten, lagen die
Betriebe von Thyssen. Die Lücken in der Leitung der Betriebe wurden von den
Betriebsräten gefüllt. Dies geschah offensichtlich mit einer solchen Effizienz,
das ein Mitglied der Familie Thyssen gegenüber einem Vertreter der englischen
Botschaft den Schluss zog, der Aufstand müsse von langer Hand gründlich
vorbereitet gewesen sein.
Direkte Aktion
Wenn die Syndikalisten an anderen Orten sich auch nicht an die Führung der
Betriebe herantrauten, so waren sie doch überall führend, wo wichtige Änderungen
in den Betrieben durchgesetzt wurden. In der ersten Schicht nach Beendigung des
Generalstreiks setzten einige Belegschaften von Zechen – so von >Brassert< in
Marl und von >Adolf von Hansemann< in Dortmund-Mengede – in direkter Aktion die
alte Forderung der 6-Stunden-Schicht durch, d.h. sie fuhren nach 6 Stunden
wieder aus. Der Vollzugsrat Oberhausen, der von dem Syndikalisten Spaniol
geführt wurde, verpflichtete die Werksleitung, alle Arbeitssuchenden „im
Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung … zu beschäftigen“; möglicherweise
war diese Maßnahme der Grund, warum der Vollzugsrat Oberhausen plante, den
städtischen Arbeitsnachweis aufzulösen. Der neu gewählte Betriebsrat der
städtischen Arbeiter Oberhausen überreichte der Stadtverwaltung eine Liste mit
Lohnforderungen, die rückwirkend ab Beginn des Monats gelten sollten. Ferner
sollten bei der Straßenbahn Wagenführer und Schaffner künftig gleichgestellt
sein; das weibliche Personal sollte ¾ der für das männliche Personal geforderten
Sätze erhalten (das war mehr als vorher).
Besonders erwähnt werden müssen die Eisenbahner. Sie präsentierten die Rechnung
für den Streik, den sie im Januar geführt hatten und der brutal unterdrückt
worden war. Die Eisenbahner in Hagen, die anscheinend besonders aktiv wurden,
setzten, als sie den Generalstreik gegen den Militärputsch beendet hatten,
gegenüber ihrer Direktion folgendes durch:
Wiedereinstellung der nach dem Streik im Januar entlassenen Kollegen
Mitbestimmung der Arbeiterausschüsse über die Arbeitsbedingungen
Befragung „bei allen Vorkommnissen wie Entlassungen und Einstellungen“
Entlassung der reaktionären Beamten
Bezahlung der Streiktage
In Recklinghausen forderte der Vollzugsausschuss gegen Ende des Aufstandes die
Dienststellen- Vorsteher der Eisenbahn au, sofort alle Eisenbahner, die im
Januar entlassen worden waren, wieder einzustellen.
In Essen wurde Eisenbahnpräsident Jahn, der sich kaum verhüllt für Kapp erklärt
hatte, nach dem Umsturz aufgefordert, sich von den Dienstgeschäften
fernzuhalten.
In Recklinghausen forderte eine der gedrücktesten Schichten der Arbeiterklasse
Lohnerhöhungen: die Zeitungsboten. Als die Zeitungsverleger ablehnten, wandten
sich die Zeitungsboten am 31.März an den Vollzugsrat. Dieser verhinderte am
folgenden Tag die Auslieferung der Zeitungen mit Waffengewalt; nach einiger Zeit
machte er diese Maßnahme jedoch wieder rückgängig, wohl weil er erkannte, dass
angesichts der vorrückenden Reichswehr, am Abend desselben Tages wurde
Recklinghausen besetzt, ein Lohnzugeständnis nicht mehr wirksam werden würde.
Das Pressewesen
Rund 70 bürgerliche Zeitungen erschienen im Aufstandsgebiet. Die meisten waren
parteiisch gebunden, d.h. an einer der vier bürgerlichen Parteien orientiert.
Alle waren gegen den Aufstand eingestellt und trotzdem wurden sie nicht
verboten. Einerseits lag dies sicher daran das die Pressfreiheit ein altes Ziel
der Arbeiterbewegung war, andererseits basierten die meisten Vollzugsräte auf
einem Bündnis von USP, KPD und SPD. Letztere hätte sich bei einem generellen
Verbot der bürgerlichen Zeitungen zweifellos sofort aus den Vollzugsräten
zurückgezogen. Statt eines Verbotes setzten die Vollzugsräte auf die Methoden
des Kaiserreiches, die Vorzensur. Diese wurde während des Weltkrieges angewandt.
Alle Zeitungen mussten vor dem Druck den Militärbehörden zur Genehmigung
vorgelegt werden. Es ist müßig all die ernannten Zensoren aufzulisten, aber ich
möchte doch erwähnen das in Mühlheim der 36jährige Maurer Reuß, einer der
bekanntesten und meist geachteten Syndikalisten der Stadt, zum Zensor bestimmt
wurde. Der Zensor strich heraus was nicht veröffentlicht werden sollte. Nach
einer Bekanntmachung des Vollzugsrates Essen waren dies Artikel die die
Anordnungen des Vollzugsrats bekämpften nationalistischer, monarchistischer,
antisozialistischer, das Wesen der Rätediktatur befehdender Natur war.
Die Folge der Zensur war, dass die Zeitungen mit mehr oder weniger großen weißen
Flecken erschienen. Das war, verglichen mit der Zensur des Kaiserreiches während
des Krieges, milder gegenüber den Redakteuren und offener gegenüber den Leser
und Leserinnen. In Deutschland (im Gegensatz zu Frankreich und England)
verlangten die Zensoren nämlich dass die Lücken mit anderen Texten gefüllt
würden, damit die Zensur nicht so auffällt. Aber nicht immer wurden gleich ganze
Texte herausgenommen, oft änderten die Zensoren nur einzelne Wörter. Auch wurden
die Zensoren nicht täglich fündig und manche Zeitung erschien die ganze Zeit
über ohne eine einzige Zensurlücke. Trotzdem wussten alle das Zensur geübt wird.
Viele Zeitungen teilten dies in einer Erklärung kurz nach dem Umsturz mit,
andere nehmen einen ständigen Hinweis der Art in den Titelkopf auf das sie unter
Vorzensur stünden.
Aus der Praxis der Zensur lassen sich vier Gruppen von Meldungen und Artikeln
rekonstruieren die bevorzugt gestrichen wurden:
solche , die den Zensoren als Schwindelmeldungen erschienen
solche, die die Aufstandsbewegung herabsetzten oder verleumdeten
solche, die für die Führung des Kampfes schädlich sein konnten
solche, die die Aussichten der Aufstandbewegung in einem ungünstigen Licht
erscheinen ließen oder allgemein beunruhigend wirken konnten.
Zur ersten Gruppe gehörten vor allem die Meldungen des halbamtlichen Wolffschen
Telegraphenbureaus (WTB). Sie wurden mit besonderem Misstrauen betrachtet, da
sich das WTB zum Sprachrohr Kapps gemacht und dessen sämtliche
Schwindelmeldungen kommentarlos verbreitet hatte. In Hagen gab die USP bekannt,
das die Zensur über die Zeitungen wahrscheinlich nur solange andauern würde bis
dem WTB das Handwerk gelegt sein.
Zur zweiten Gruppe gehörten vor allem die Front- und Kampfberichte der
Gegenseite. In zwei seltenen Fällen in den in denen die Zensoren solche Bericht
ohne größere Streichungen durchgehen ließen, wurde beanstandet das die Autoren
die bewaffneten Arbeiter als „Spartakisten“, „Bolschewisten“ bzw. pauschal als
„Kommunisten“ bezeichneten. Die ersten beiden Begriffe wurden als das empfunden
was sie sein sollten: verleumderisch. Der dritte Begriff wurde, zurecht, als
unzutreffend bezeichnet.
In der dritten Gruppe finden sich Berichte von Journalisten denen es gelungen
war Genehmigungen zum Besuch der roten Front zu erhalten. Hier wurde geprüft ob
sie nicht zu viele militärische Einblicke in die Lage der Roten Armee enthalten.
In der vierten Gruppe finden sich schließlich Meldungen über die ungünstige und
zum Teil verzweifelte Lage der Nahrungsmittelversorgung im Revier. Das die Lage
ungünstig war ist eine Tatsache die jeder wusste und durch die Zensur wurde der
Eindruck erweckt als wollten die Vollzugsräte diese Tatsache vertuschen.
Die Zensur richtete sich aber nicht nur gegen die die bürgerlichen Zeitungen. In
zwei Fällen erschienen auch SPD-Zeitungen mit einer Zensurlücke.
Zwei Ausnahmen müssen noch geschildert werden. Zum einen wurde das erscheinen
des >Westfälischen Tagblatt< in Hagen verboten zum anderen wurde die
>Rheinisch-Westfälische Zeitung< in Essen verboten. Beide Zeitungen waren offen
für Kapp eingetreten. Beide Blätter durften nach drei Tagen wieder erscheinen.
Das >Westfälische Tagblatt< durfte allerdings nur als reines Nachrichtenblatt
und ohne Stellungnahme der Redaktion aufgelegt werden. Die
>Rheinisch-Westfälische Zeitung< kündigte zwar an auf eigenen Wunsch „bis auf
weiteres als reines Nachrichtenblatt herauszukommen“, aber die Nachrichten die
sie dann brachte waren der Art, dass der Zensor große Lücken in den Text riss.
Das Erscheinungsbild der Zeitungen hatte sich stark geändert. Dies war nicht nur
eine Folge der Zensur, sondern war auch auf weitere Verordnungen der
Vollzugsräte zurückzuführen. So mussten alle Zeitungen die Bekanntmachungen der
Vollzugsräte mit absoluter Priorität veröffentlichen. Der redaktionelle Teil
enthielt in den allermeisten Fällen nur noch unkommentierte Nachrichten. Diese
Tatsache, dass jetzt bürgerliche Zeitungen Bekanntmachungen und Anordnungen
veröffentlichen mussten, die der Sache der Arbeiter diente, wurde bei vier
Zeitungen auf Veranlassung von Arbeitern bzw. Vollzugsräten durch Änderung im
Titelkopf hervorgehoben.
In Dortmund veranlassten syndikalistischer Arbeiter das der >General-Anzeiger<
am 18.März mit dem Titel >Publikations-Organ des revolutionären Volkes
(Dortmunder General-Anzeiger) erschien. Die nächste Nummer trug allerdings schon
wieder den alten Namen, mit einer sich von der Aktion der Arbeiter
distanzierenden Erklärung des Vollzugsausschusses. Am 20.März versuchten es die
Arbeiter offensichtlich noch einmal. Über dem normalen Titelkopf war zu lesen:
„Auf Anordnung: Publikations-Organ des revolutionären Volkes“.
Bei den drei anderen Zeitungen standen die jeweiligen Vollzugsräte selbst hinter
den Titeländerungen.
Der >Mühlheimer General-Anzeiger< erschien ab dem 21.März mit dem Untertitel:
„Zugleich Publikationsorgan des revolutionären Aktionsausschusses“. Das >Lenneper
Kreisblatt“ erschien am 22.März mit dem Titel „Nachrichtenblatt des Lenneper
Vollzugsrates (vormals Lenneper Kreiblatt)“. Die nächste Nummer erschien wieder
mit dem alten Titel, jedoch mit dem Untertitel: „Publikationsorgan des
Vollzugsrates“.
Die erste Nummer der >Bottroper Volkszeitung<, die nach dem Umsturz erschien,
hatte den Untertitel: Publikations-Organ der revolutionären Arbeiterschaft“.
In Mühlheim und Dortmund brachten bürgerliche Zeitungen auch Artikel aus der
Feder der Zensoren! Reuß veröffentlichte zwei oder drei Artikel im >Mühlheimer
General-Anzeiger< und in der >Mühlheimer Zeitung<, Hornig einen Artikel im
Dortmunder >General-Anzeiger<
Obwohl einige linke Zeitungen seit dem Sieg der Arbeiter wieder erscheinen
konnten, bestand noch immer ein Missverhältnis zwischen den 20 Tageszeitungen
der drei Arbeiterparteien (11 SPD, 7 USP, 2 KPD) und den rund 70 bürgerlichen
Zeitungen.
In zwei Städten, Dortmund und Elberfeld, wurden versuche gemacht, dieses
Verhältnis zu ändern.
In Dortmund versuchte zunächst eine radikale Gruppe, die >Dortmunder Zeitung<,
die für Kapp eingetreten war, zu einem linksradikalen Blatt umzugestalten.
Meinberg und Behrs vom Vollzugsrat traten dem entgegen. Am 23.März erschien dann
die erste Nummer der „Dortmunder kommunistischen Zeitung“ in einer Auflage von
10 – 15.ooo, hergestellt in der Druckerei der >Dortmunder Zeitung<,
herausgegeben von der Pressekommission des Vollzugsrates und vertrieben vom
KPD-Parteisekretariat. Ein regelmäßiges erscheinen als Tageszeitung ließ sich
jedoch nicht verwirklichen.
In Elberfeld erschien am 21.März ein neues KPD-Organ, „Die rote Fahne“. Auch sie
schaffte es nicht als Tageszeitung zu erscheinen.
An dieser Stelle muss ich noch einmal auf Bernhard Lamp zurückkommen. Lamp war
am 19.März noch in anderer Hinsicht aktiv geworden. Auf einer
Buchdruckerversammlung in Elberfeld schlug er den Arbeitern der
Bergisch-Märkischen Zeitung (BMZ) vor, unter seiner Mitarbeit eine Zeitung
herauszugeben. Die Herausgeber der BMZ hatten Kapp unterstützt. Lamp besetzte
mit den Arbeitern die Zeitung, ließ die Angestellten entfernen, sie etwas später
aber wieder mitarbeiten. Auf der erwähnten Massenversammlung ließ Lamp sich auch
als > Volksbeauftragter für die Sozialisierung der Presse< ernennen. Er
verfasste die erste Nummer der Zeitung, die er „Direkte Aktion im Westen“
titulierte. Der Aktionsausschuss griff erneut ein ein; Lamp erreichte aber das
die Zeitung, zusammen mit einer weiteren von ihm verfassten Zeitung, die den
Titel, „Die Brandung“ trug, am 23.März erscheinen konnte. In der Begründung für
seine Aktion bezog sich Lamp auf den Aufruf des Aktionsausschusses, indem unter
anderem die Sozialisierung der hierzu reifen Industrien und das Verbot der
Zeitungen, die den Putsch unterstütz hatten, gefordert wurde. Beides
Bedingungen, die nach Lamps Auffassung bei der BMZ gegeben waren:
„Es wollte mir nun scheinen, dass ein Blatt, das in der bisherigen Weise nicht
mehr herauskommen kann, einen leeren Betrieb hinterlässt, der naturgemäß
schleunigst benutz werden muß“.
Seine Aufgabe als Volksbeauftragter für die Sozialisierung des Pressewesens sah
Lamp folgendermaßen: Herausgabe einer Tageszeitung unter inhaltlicher
Mitbestimmung der Druckereiarbeiter und kostenloser Mitarbeit von jedermann; der
sozialisierte Betrieb sollte Beispielhaft wirken; nach Sammlung von Erfahrungen
sollte das Modell auf die anderen Betriebe übertragen werden. Auffallend in
beiden Blättern ist Lamps schwungvolle, metaphorische Diktion, mit der er die
Stimmung der Massen in den Märztagen zum Ausdruck bringen wollte. Inhaltlich
bewegen sich Lamps Artikel im Rahmen der Forderungen des Aktionsausschusses nach
der Diktatur des Proletariats auf Grundlage des Rätesystems und der sofortigen
Sozialisierung.
In zwei Leitartikeln >Was ist Räteverfassung?< und >Was wir nicht wollen<
entwickelt Lamp seine Vorstellung über das Rätesystem und die Sozialisierung,
die sofort in Angriff genommen werden müssten, und betont die Bedeutung von
Beispielen in einzelnen Betrieben.
In der >Direkten Aktion im Westen< erläutert Lamp seine beiden Aktionen und >Die
Brandung< enthält noch eine exzellente Kritik Lamps am Beschluss des
Aktionsausschusses, den Generalstreik abzubrechen. Lamp hob zwei Kritikpunkte
besonders hervor:
dass der Aktionsausschuss nicht durch die Wahl der Arbeiter entstanden sei und
dadurch nicht, wie dieser behauptete, die Vollmacht besäße, so weitgehende
Entscheidungen zu treffen. „Darum vermögen wir ihm (dem Aktionsausschuss) bei
allem Verständnis für die weltbefreienden Einigungsgedanken der Arbeiterschaft
nicht die Befugnis zuzuerkennen, einfach zu kommandieren: Hinein in die Fabrik!
Selbstbestimmung, Demokratie – wo blieb sie in diesem Fall? Glaubte man das ganz
Natürliche bei einer jeden Bewegung, nämlich dass die Arbeiterschaft selbst
bestimmen will, was zu geschehen hat, hier nicht notwendig zu haben?“
die Feststellung, dass das Argument des Aktionsausschusses, die
Lebensmittelversorgung sei gefährdet, „das große Bangemachen sei – um die Massen
von der Straße wegzubekommen“ und dies der Grund sei, „warum man es so eilig
hatte mit dem Beginn der Arbeit“. Die Angst der Funktionäre vor der
Selbständigkeit der Massen bringt Lamp mit dem treffenden Satz zum Ausdruck:
„Man liebt die Demonstrationen, jedoch nicht die Demonstranten, wenn sie den
Erfolg naturgemäß und mit Recht zur vollen Auswirkung gelangen lassen wollen.“
Symbole / Umdeutungen
Der Vollzugsrat Lennep erließ folgende Bekanntmachung:
„Die schwarz-weiß-roten Fahnen, das Symbol der blutbefleckten Reaktion, werden
mit dem heutigen Tage restlos konfiziert. Diejenigen, die derartige Fahnen im
Besitz haben, werden aufgefordert, diese sofort an den Vollzugsrat abzuliefern.
Das Tuch der Fahnen wird zur Erstlingswäsche umgearbeitet und an bedürftige
Familien abgegeben“.
Diese ‚Umfunktionierung’ eines wichtigen Symbols des Klassengegners scheint ins
Schwarze getroffen zu haben; das geht aus der großen Beachtung hervor, die die
bürgerlichen Zeitungen im ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus dieser
Bekanntmachung gaben.
Die Frauen
Insgesamt waren die Frauen nicht wirklich akzeptiert. Dies äußert sich innerhalb
der Revolution zum Beispiel dadurch das die Vollzugsräte nichts an der
allgemeinen Minderbezahlung, die Frauen gegenüber den Männern erdulden mussten,
änderten. Inwieweit Frauen an den Kämpfen direkt beteiligt waren kann ich nicht
sagen, aber eines ist sicher, auch Frauen waren in der Roten Ruhr Armee. Eine
Arbeiterin aus Mühlheim, Mitglied des Freien Sozialistischen Jugend,
überlieferte, das die Arbeiter-Samariter Schnellkurse durchführten: "Sie lehrten
wie man Verbände macht, Schienen anlegt oder wie Verwundete transportiert werden
müssen." Über die Arbeiter-Samariterinnen an der Front vor Wesel schrieb ein
bürgerlicher Journalist: "Ihr Mut und ihre Aufopferung verdienen rückhaltlose
Bewunderung. In der vordersten Feuerlinie sieht man angegraute Arbeiterfrauen
und kaum erwachsene junge Mädchen, die ungeachtet des Kugelregens tapfer ihr
Liebeswerk vollbringen." Die Schilderungen zeigen jedoch nur das sich Frauen
innerhalb der klassischen Frauenbilder an der Roten Armee als Hüterin und
Pflegerin beteiligten. Innerhalb der Roten Armee gab es nicht wenige Kampfleiter
die entweder alle Frauen oder doch wenigstens die unverheirateten Frauen wieder
loswerden wollten. Offen antisexuell äußerte sich der Stadtkommandant von
Duisburg, Münzberg: "Ich werde einen Befehl herausgeben das Liebe an der Front
mit dem Tode bestraft wird. So etwas entwürdigt unsere heilige Sache." Der
Vollzugsrat Duisburg vermutete gar Huren an der Front und verordnete: "Wer sich
unbefugt hinter der Front herumtreibt, wird erschossen; dies gilt auch für ...
weibliche Personen zweifelhaften Charakters" ... und ruft zur Denunziation auf:
"Wer Kenntnis von solchen demoralisierenden Umtrieben in der Roten Armee erhält,
ist verpflichtet, Anzeige zu erstatten".
Bei all dem nicht zu vergessen das die "zu Haus" gebliebenen Frauen mit
zahlreichen Problemen konfrontiert waren, welche durch die revolutionäre
Erhebung nicht weniger, sondern zum Teil sogar noch mehr bzw. verstärkt wurden.
http://fau-duesseldorf.org/archiv/texte-von-faud-mitgliedern-und-texte-der-faud
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