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Fritz Oerter
Räterepublik Bayern
Revolution und Reaktion in Bayern
Der junge Graf Arco- Valley, der die tödlichen Schüsse auf Kurt Eisner abgegeben
hat, förderte damit – natürlich ohne es zu wollen – die Revolution ungemein.
Eisner ist tot, aber die Revolution lebt und marschiert. Der Rätegedanke gewinnt
in Stadt und Land immer mehr Einfluss und Umfang und geht allmählich auch mehr
und mehr in die Tiefe. Wenn wir in Deutschland nicht die schmähliche
Parteiwirtschaft hätten, welche die Menschen voreingenommen macht und gehässig
gegeneinander aufhetzt, sodass sie wie mit Scheuklappen geblendet wütend sich
bekämpfen, statt sich geschlossen gegen ihre gemeinsamen Bedrücker zu wenden,
dann hätten wir Anhänger des Rätesystems ein leichtes Arbeiten. Wir haben aber
leider Massen vor uns, die durch einseitige Parteischulen hindurchgegangen, die
in höchstem Maße verbildet sind und aus dem Pferch ihrer Partei nicht heraus und
sich nicht finden können. In Russland lagen die Verhältnisse im Wesentlichen
doch anders; dort waren die großen Massen des Volkes noch unbefangen, sie
empfingen den Sozialismus aus erster Hand, ohne dass ihn erst soundso viele
Systemfuchser zurechtgeknetet hätten. Das ist der große Jammer unserer Zeit dass
die Proletariermassen, die doch alle die gleichen Interessen haben, durch
Parteien und Fraktionen voneinander getrennt und gegeneinander abgeschlossen
werden. Noch immer stellen sie die kleinlichen, oft sogar rein persönlichen
Interessen an die Partei höher als die des gesamten proletarischen
Klassenkampfes.
Das Rätesystem wäre nun aber die Form der Organisation, in der sich alle
sozialistischen, politischen und gewerkschaftlichen Strömungen unter einem neuen
Gesichtspunkte mehrheitlich zusammenschließen können. Leider ist von dieser
schönen Gelegenheit bisher kein Gebrauch gemacht worden. Wie tief die Klüfte
zwischen den einzelnen Richtungen noch sind, das zeigten die Vorgänge in
München.
Der Rätekongress, der sich am 20. Februar vertagt hatte, musste zum Diensteg,
den 25., infolge des Mordes an Eisner, der Attentate im Landtag und des
fluchtartigen Auseinanderstrebens der Herren Abgeordneten wieder zusammentreten.
Wir können es tatsächlich nur aufs lebhafteste bedauern, dass die Herren so
rasch davonliefen, und glauben nicht, dass es Mangel an Mut war, der sie
auseinander trieb, sondern weit eher die Erkenntnis der Unfähigkeit, dem vom
Kriegselend niedergetretenen Volke aufzuhelfen. Der Zustrom der Räte war diesmal
noch größer als in der Woche davor: Über dreihundert Arbeiter-, Bauern- und
Soldatenräte, auch Frauen, wie z.B. Anita Augspurg und Frau Heymann waren
darunter. Die Stimmung unter dem Münchener Proletariat ist ziemlich erregt und
neigt stark zum Kommunismus, während bei den Delegierten aus der Provinz noch
viel Rückständigkeit und Torheit zu bemerken ist mit Ausnahme Weniger. Auch die
viel verlästerten Dr. Levien, Mühsam und Landauer sind da. Letzterer ist es
besonders, dem es zu danken ist, wenn die Verhandlungen trotz der stürmischsten
Auftritte, der niederdrückendsten Situation und hässlichsten Szenen immer wieder
eine gewisse geistige Höhe und Würde erreichen.
Wenn in der Provinzpresse oder in der Presse Norddeutschlands von einem Terror
gesprochen wird, der in München herrsche, so muss hier nachdrücklich darauf
hingewiesen werden, dass dieser hier nicht von jenen ausging, die man lügnerisch
stets als Terroristen bezeichnet, sondern von der Gegenseite, und dass er gerade
gegen die Kommunisten und Spartakisten gerichtet war. Gleich am ersten Tage
stellten sich dem Kongress Leute vor, die von der dem Stadtkommandanten Dürr
unterstehenden Bahnhofswache in scheußlicher Weise misshandelt worden waren. Die
Untersuchung ergab, dass der Bahnhofskommandant Aschenbrenner und sein würdiger
Stellvertreter es ruhig duldeten, dass eingelieferte Häftlinge von dem Personal
ohne Verhör gewohnheitsmäßig aufs Schimpflichste misshandelt wurden. Wenn es
trotz der unerhörtesten Provokationen seitens der Münchener Arbeiterschaft bis
zu dem Augenblick, wo ich dies hier schreibe, zu keinen Kämpfen und zu keinem
Blutvergießen kam, so ist dies wahrlich nicht deren Verdienst, sondern das
Verdienst des Dr. Levien, das Verdienst Mühsams und Landauers, die nicht müde
werden, das empörte Volk zu beruhigen und zur Geduld zu mahnen.
Der Begräbnistag Eisners, an welchem in München in keinem Betrieb gearbeitet
wurde, führte wenigstens einmal die Massen zu einer gewaltigen, einheitlichen
Kundgebung zusammen. Ganz München war an diesem Tage auf den Beinen. Aber schon
in der Frühe des nächsten Tages nahmen die Agenten der Reaktion ihre Arbeit
wieder auf. Der Stadtkommandant erhielt Briefe, worin große Ereignisse
angekündigt wurden, und an allen Straßenecken waren Zettel angeklebt, die in
etwas dunkler Weise das arbeitende Volk Münchens aufforderten, vor das
Landtagsgebäude zu ziehen und den Kongress der Räte zu begrüßen. Dr. Levien, der
Führer der Kommunisten sowie Dr. Wadler, der Vorsitzende des revolutionären
Arbeiterrats erklärten, dass sie mit dieser Aufforderung nichts zu tun haben.
Aber der Stadtkommandant traf sofort gewaltige, umfangreiche militärische
Anordnungen. Alle Zugänge zur Pramerstraße wurden von Soldaten abgesperrt und
mit Maschinengewehren besetzt. Außerdem hatte er für seine Truppen äußerste
Bereitschaft angeordnet. Inzwischen aber hatte man schon die Kommunisten aus
ihren Versammlungslokalen vertrieben. Sie zogen deshalb in der Stärke von
etlichen hundert Mann heran, um sich ihr Versammlungsrecht zu ertrotzen.
Soldatenrat Klingelhöyer rettete die Situation, indem er sich die Vollmacht vom
Kongress geben ließ, die Demonstranten in ein Versammlungslokal zu führen.
Um eine Einigung unter den Parteien zu erzielen, arbeiteten Landauer und
Eichenmüller (Mehrheitssoz.) einen Entwurf aus, der zwar nicht direkt die
Räterepublik proklamierte, aber doch das Rätesystem in vollstem Maße zuerkannte.
Diese Resolution hatte volle Aussicht, von der überwältigenden Mehrheit des
Kongresses angenommen zu werden; aber im letzen Augenblick vor der Abstimmung
wurde die Sitzung auf Freitag vertagt. Hier tauchte dann die Resolution in
ziemlich verblasster und verwaschener Form wieder auf und bot nun namentlich
keine Sicherung mehr dafür, dass auch die Kommunisten zur Mitarbeit im
Aktionsausschuss und Zentralrat herangezogen werden konnten. Es ist aber
außerordentlich gefährlich, die Kommunisten, die von Tag zu Tag immer mächtiger
anschwellen, einfach von der Mitarbeit ausschließen zu wollen. In den Debatten,
die vor der Abstimmung stattfand, erregte das Koreferat des Dr. Levien, das
wirklich an sich glänzend war, wenngleich es uns Föderalisten infolge seiner
zentralistischen Tendenzen weniger entsprechen konnte, das größte Interesse.
Am Nachmittag geschah dann das Unerhörteste, was überhaupt geschehen konnte, der
Überfall auf den Rätekongress und die Verhaftung des Dr. Levien, des Erich
Mühsam und anderer. Auch Landauer, der sich eben ins Landtagsgebäude begeben
wollte, befand sich vorübergehend in Haft. Das Tollste an der Sache ist der
Umstand, dass die eingedrungenen Soldaten erklärten, im Auftrag der
sozialdemokratischen Mehrheitspartei, der freien Gewerkschaften und der gesamten
Münchener Garnison zu handeln. Tatsächlich wurden um die gleiche Zeit in München
Plakate angeschlagen, die sich in der heftigsten Weise gegen den Rätekongress
und einzelne seiner Vertreter richteten und vom Kriegsminister Scheidt,
Stadtkommandanten Dürr, Polizeipräsidenten Steiner und von der
sozialdemokratischen Mehrheitspartei – gez. Schmidt – sowie den freien
Gewerkschaften – gez. Kurth und Schiefer – unterzeichnet waren. Diese Schandtat
wird die sozialdemokratische Mehrheit niemals von sich abwälzen können. Dr.
Levien benahm sich bei seiner Wiederkunft nach kaum viertelstündiger Abwesenheit
würdevoll und ruhig wie ein antiker Held. Ich muss sagen, dass er mir unbedingte
Achtung abnötigte und wohl nicht nur mir allein, sondern allen, auch denen, die
sachlich nicht mit ihm übereinstimmen.
Am Abend desselben Tages standen viele Tausende von Arbeitern vor dem Landtag
und demonstrierten in der erregtesten Weise. Keiner der sozialdemokratischen
Partei- und Gewerkschaftsführer wagte es, vor die Massen hinzutreten, aber auch
hier warn es Levien, Mühsam und Landauer, welche sie zur Ruhe, Geduld und
Einsicht mahnten.
Bei der Abstimmung über die Mühsam- Resolution, welche die Räterepublik
forderte, erhielten wir 70 Stimmen, während ca. 250 dagegen waren. Die
Kompromissresolution Eichenmüller wurde an in ihrer stark verwässerten Form mit
überwältigender Mehrheit zum Beschluss erhoben. Die Revolutionsflaumacher, die
Vorsichtigen, Ängstlichen und Bedächtigen haben gesiegt. In Wirklichkeit besteht
aber im Augenblick, da dies geschrieben wird, die Räterepublik in Bayern doch,
denn es ist ja gar keine andere Macht da, die über dem Rätekongress stünde.
Dieser Umstand wird auch meinem Freund Landauer bewogen haben, des lieben
Friedens willen und der Verständigung halber, die ihm so sehr am Herzen liegt,
für die Kompromissresolution zu stimmen. Er sagte auch, ihm käme es nicht auf
das Wort an, sondern auf die Sache.
Das Ministerium, das zum Schluss ernannt wurde, ist ein Verlegenheitsprodukt
ersten Ranges. Es kann ihm unmöglich ein langes Leben beschieden sein.
Die Revolution wird ihren Fortgang nehmen trotz aller reaktionären Maßnahmen
seitens der bürgerlichen und der sozialdemokratischen Mehrheit. Nur
wirtschaftliche Kampfmittel, nur die direkte Aktion werden dem Volke aus dem
Elend heraushelfen.
3. März 1919
Fritz Oerter
Aus. „Der Syndikalist“, Nr. 13/1919
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