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O.M. Saenger-Pascendi
Eugen Relgis - Der rumänische Vorkämpfer für eine
neue Menschheit
Seit 1947 lebt der bekannte rumänische Schriftsteller Eugen Relgis, ein alter
Freund von Romain Rolland, in Südamerika. Nach dem ersten Weltkrieg trat er als
Gründer der Humanitaristischen Bewegung, die universale Kultur und den Grundsatz
der Gewaltlosigkeit vertritt, für einen wirklich freiheitlichen Sozialismus ein.
Nach dem zweiten Weltkrieg musste er, dessen zartfühlender Geist schwer unter
der Verrohung und Verfolgung zu leiden hatte, sein Vaterland verlassen. Heute
lebt er, wohl enttäuscht aber nicht verbittert, seiner schriftstellerischen
Tätigkeit, die der Erringung einer Zukunft, in der die sittlichen Werte
voranleuchten, gewidmet ist. Die meisten seiner Schriften sind in 15 Sprachen
übertragen, zu früheren schrieben Romain Rolland, Stephan Zweig, Georg Nicolai
und Albert Einstein die Einführung. Seine letzten Bücher sind in spanisch
geschrieben.
Südamerika zeigt reges Interesse an Fragen friedlicher Lösung der Weltkonflikte,
so wurde 1936 in Uruguay der 70. Geburtstag Rollands durch seine Freunde mit
einer Festwoche begangen, in der die Buchhandlungen die Schriften Rollands
ausstellten. Zum dritten Todestag hielt Relgis vor dem Radiosender in Montevieeo
einen Vortrag, dem eine zweimonatliche Rundfahrt durch Argentinien folgte mit
zwölf weiteren Ansprachen, u.a. in Buenos Aires, La Plata und Rosario. Im August
1948 hielt Relgis einen Vortrag in Athenäum zu Montevideo, um weiterhin in
anderen Städten Uruguays, Chiles und Mexikos zu sprechen.
Eines der letzten Werke von Relgis in spanischer Sprache handelt über Romain
Rolland, dessen ethische und geistige Bestrebungen an Hand von Briefen gewürdigt
werden. Rolland selbst hatte Relgis 1929 als den Europäer bezeichnet, in dessen
Hände er mit größtem Vertrauen seine pazifistischen Gedanken gelegt wissen
wollte, um sie der Zukunft weiterzugeben. Einige kurze biographische Bemerkungen
darf ich wohl zur allgemeinen Unterrichtung vorausschicken: Rolland, 1866
geboren, wurde als Jüngling von dem Aufruf Tolstois gegen den Missbrauch der
Kunst erfasst und maßgebend für sein ganzes Leben beeinflusst. Tolstoi lehnt
Kunst nur um der Kunst willen ab, er will sie vielmehr aus Liebe zur Menschheit
ausgeübt wissen. Im Dreyfußprozeß nahm Rolland für Recht und Wahrheit Partei.
Ein Versuch, die seichten Unterhaltungsstücke der französischen Bühne durch
bessere zu ersetzen, schlug fehl. In zehnjähriger Zürückgezogenheit entstand das
Werk „Jean Christoph“, eine Kunde menschlicher Brüderlichkeit, in drei
ansehnlichen Bänden. Leider fand der darin vertretene Geist im Kriegsgebrüll von
1914 wenig Widerhall. Während des Kriegs widmete sich Rolland Werken der
Nächstenliebe. Nach dem Krieg fanden seine Rufe ebenfalls Ablehnung bei den
Ewiggestrigen. Während sie bei den Sozialisten begeistert aufgenommen wurden. Um
wahren Menschheitsdienst einem Kriegsheldentum gegenüberzustellen, verfasste
Rolland Biographien von Beethoven, Michelangelo und Tolstoi. Die Lehre des
Mahatma Gandhi vermittelte er Europa, Relgis bringt in seinem neuesten Werk
meist unveröffentlichten Briefwechsel und zwei öffentliche Briefe von 1928 und
1939. Wir finden eine gute Betrachtung über tätigen Pazifismus, Revolution und
Gewaltanwendung, wie über die humanitaristischen Bestrebungen. Der zweite der
offenen Briefe ist eine Antwort Relgis auf ein Schreiben Rollands an Daladier.
Ein anderer Abschnitt handelt vom Wirken Rollands nach dem Krieg, mit Auszügen
aus Anerkennungen von seinen Anhängern. In einem besonderen Kapitel berichtet
Relgis über seinen Besuch in der Villa Olga zu Villeneuve im Jahre 1930.
1923 hatte Relgis den Meister vom Zusammenschuß rumänischer Jugend in Bukarest
und einigen anderen rumänischen Orten benachrichtigt. – Relgis hatte damals
seine Schrift „Humanitarismus und die Internationale der Geistigen“ verfasst
(1925 in deutsch erschienen), dessen Grundsätze aus Lebens-, Sitten-,
Wirtschaftslehre und Technik entnommen sind. Relgis war damals, wie viele von
uns, erfasst von der „Biologie des Krieges“ von Georg Nicolai, der er
wissenschaftliche Kampfparolen entnahm. Seine rumänischen Freunde entflammten
für die westlichen geistigen Bestrebungen zur Erhaltung der Menschenwürde.
Überall breiteten sich solche Gedanken aus, wie sie 1928 auf der Tagung der
Kriegsdienstgegner auf dem Sonntagsberg bei Wien vorgetragen wurden, wo Relgis
eine geistige Internationale der Friedenskämpfer unter Anschluß an die
Internationale der Kriegsdienstgegner befürwortete. Ursprünglich erhoffte man
das Erscheinen Rollands. Der dem Kapitel beigefügte Bericht enthält auch für
unseren heutigen Kampf bedeutsame Richtlinien. Man erkannte, dass die ungesunde
Ausweitung des Kapitalismus zum Krieg drängen muß. Andererseits steht dem
modernen Krieg das Einheitsstreben der Menschheit entgegen, das sich klar im
Zusammenschluß der Berufe, dem technischen Fortschritt und dem wirtschaftlichen
Austausch stofflicher wie geistiger Güter ausweitet. Pazifismus und
Internationale wollen ein Ausdruck dieses Strebens sein. Der Pazifismus wird
aber nur dann schöpferisch sein können, wenn er sich über den völkischen Rahmen
und den hergebrachten Vaterlandsbegriff erhebt. Wer lediglich im nationalen
Rahmen seine Friedensgedanken vertritt, wird im Fall der Aushebung zum
Kriegsdienst keine rechte Begründung für dessen Ablehnung finden können. Deshalb
vertritt Relgis den Grundsatz der Verweigerer, die keinerlei Kriegshandlung
unterstützten, sondern alles aufbieten wollen, die Kriegsursachen selbst zu
beseitigen. Auch Rolland stimmte diesem Grundsatz zu.
Rolland wie Relgis erfassten sofort, dass sich eine wahre Internationale auf die
gemeinschaftlichen Interessen der Menschheit gründen muß. Die Internationale der
Proletarier, die an eine Entwicklung der Menschheit nach dem materialistischen
Dogma glaubt, erstreckt sich bis zum Punkt der politisch wirtschaftlichen Sicht;
während die geistigen Pazifisten wohl diese Form sozialistischer Sicht werten,
aber betonen, dass damit nicht die letzten menschlichen Fragestellungen gelöst
werden können. Sie wollen den vollständigen Frieden der Völker der mit dem
sozialistischen Sieg noch nicht gewährleistet ist. Das wurde nach dem ersten
Krieg nur von wenigen erkannt. Der Friede zwischen den Klassen ist eine
Vorstufe, selbstredend ist der Friede der Klassen in den allgemeinen Frieden
eingebettet.
Wahre Pazifisten lehnen Gewaltanwendung nicht nur für den Krieg, sondern
ebenfalls in der Revolution ab, sie anerkennen keinerlei sittliche, geistige
oder ideologische Unduldsamkeit, und wollen den Sozialismus zum Humanitarismus
erweitern, in dem sich Sozialismus und Individualismus in freiem Austausch
ergänzen und beistehen. Die Internationale der Geistigen soll die innere
Entwicklung des einzelnen anregen und gegen Gewalt wie Unduldsamkeitsregungen
schützen. Das ist für eine wirkliche internationale Gesinnung die
Grundbedingung.
1919 hatte sich die Clartegruppe bemüht, verantwortungsbewusste geistige Kämpfer
zu sammeln; aber ihr Anschluß an die dritte Internationale zerstörte die in sie
gesetzten Hoffnungen. Relgis wollte einen Neubeginn. Der „Panhumanismus“ von
Rolland und der „Aufruf an die Europäer“ von Nicolai sind als Vorstufen
anzusehen.
Der offene Brief von Relgis 1925 anerkennt die Bedeutung einer aus sittlichen
Regungen stammenden Revolution, warnt aber eindringlichst vor einer vor dem
sittlichen Gewissen nicht standhaltenden Rebellion, die leicht in dunkle
Abgründe abgleitet. So wurden die von Idealisten verkündeten Menschenrechte bald
von einem neuerstandenen „Bourgeoistyp“ verleugnet. Der moralische Imperativ
verliert die Herrschaft, wie die nach Kriegen entstehenden Revolutionen leicht
zu blutigen Orgien werden.
Das wusste auch Jean Jaures, der 1914 einer Kugel zum Opfer fiel. Er trennte
nicht den wirtschaftlichen Ablauf von den übrigen menschlichen Wirklichkeiten,
er war Gegner jeder gewaltsamen Unterdrückung, da das langsame Erwachen der
breiten Massen Stetigkeit erlangte.
Im Krieg schlachteten sich die, die sich auf ihren Kongressen Brüderlichkeit
geschworen hatten, gegenseitig ab, Karl Liebknecht, der sich weigerte im Krieg
zu schießen, trat für die Diktatur des Proletariats und Waffengewalt ein. Lenin
redete von der Überleitung des kapitalistischen Krieges in den Bürgerkrieg. Und
was geschah: Neue Volksvertreter kamen an die Macht und die Menge empörte sich
nicht gegen blutige Auseinandersetzungen, ja ihre eignen Führer, wie Liebknecht,
fielen solchen zum Opfer.
Das beweist deutlich, es ist undenkbar, eine neue soziale Ordnung lediglich
durch Gewalt und Unduldsamkeit zu erlangen, man kann sie höchstens eine Zeitlang
dadurch erhalten, auf jede Revolution erfolgt eine Gegenrevolution.
Heute stehen wir dem Ringen zweier Riesen – Kapitalismus und Kommunismus -
gegenüber und müssen eine Beruhigung des empörten Meeres zu erreichen suchen.
Die Revolution ist nur eine Maske des Krieges, in revolutionären Ländern besteht
dasselbe militaristische System wie in anderen. Eine neue Minderheit führt
ebenfalls Unterdrückung herbei.
Daher soll der Humanitarist wählen zwischen Gewalt oder Gewaltlosigkeit.
Natürlich wird der echte Pazifist stets auf Seiten der Unterdrückten stehen,
aber dabei nie die übergeordneten menschlichen Interessen über den
wirtschaftlichen außer acht lassen. Wie der Kapitalismus neigt der Sozialismus
zur Aufblähung. An diesem Trieb starben schon Völker und Reiche. Bereits schickt
sich eine politisch sozialistische Oligarchie an, die Betoner geistige Rechte zu
verleumden und zu Feinden der Gesellschaft zu erklären. Sozialistische
Herrschaft schützt nicht vor Gewaltglauben.
Der Humanitarismus erkennt den Staat als eine Überkonstruktion, also etwas
Abstraktes, während die Menschheit sich vom Abstrakten lösen muß und sich nicht
vom Staat umstricken lassen darf. Die sozialen Ideale dürfen nicht in das
Politische absinken, denn sie sind aus Liebe zur Menschheit erstanden.
Während das bewusste organisierte Proletariat die notwendige wirtschaftliche
Umbildung vorbereitet, muß die geistige Umbildung dem inneren Gesetze des
Fortschritts zum Besten der menschlichen Weiterentwicklung folgen.
Relgis bietet uns ein Bild geistiger Kämpfe, an denen sich die heutige Jugend
erwärmen kann, um Irrwege zu meiden, die bereits als solche erkannt sind.
Aus: „Die freie Gesellschaft“, 3. Jg. (1951), Nr. 26.
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