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Wilhelm Schroers

Zur Betriebsrätefrage

Die Betriebsrätefrage steht im Mittelpunkt der Debatten innerhalb unserer Bewegung. Als Gegner jeder gesetzlichen Institution waren wir seither Gegner der gesetzlichen Betriebsräte. Nunmehr, da unsere Bewegung im letzten Jahre einen Rückgang zu verzeichnen hatte, vermeint ein Teil unserer Genossen, dies durch Beteiligung an den Betriebsrätewahlen wettmachen und die Bewegung vorwärtstreiben zu können, so daß wir als Massenorganisation ein richtungsgebender Faktor werden. Es ist nun zu untersuchen, ob unsere Sache einen Fortschritt in dieser Richtung hin zu verzeichnen haben wird.

Da gilt es zunächst, die Ursache des Rückganges zu suchen. Das wichtigste Moment, das einer sozialen Umgestaltung vorangehen muß, ist die Gehirnrevolution. Die Erfassung unserer Idee erfordert eine solche. Das ist auch der Kernpunkt, weshalb die Vorbereitung der anarcho-syndikalistischen Idee bei den Massen auf Granit oder vielmehr auf einen Sumpf stößt. Alle Parteien und zentralen Gewerkschaften wollten den Massen etwas bringen. Wir wollen nun keinem etwas bringen, sondern lehren die harte Notwendigkeit des eigenen Erkennens und Mitwirkens bei der Umstellung der kapitalistischen Wirtschaft in eine herrschaftslose Gesellschaft. Das ist es, was die im zentralistischen Sinne erzogenen Massen scheuen. Die eigene Tatkraft, die durch die Mechanisierung des ganzen Lebens unterdrückt wurde, läßt sie an sich selber zweifeln. Daß eigenes Handeln der einzig richtige Weg ist, begreifen sie alle instinktiv, doch will diese Instinktivität keine Erkenntnis werden. Und die Verbreitung dieser Erkenntnis ist gerade unsere Aufgabe.

In der Nachkriegszeit bekam unsere Bewegung großen Zuwachs. Das war erfreulich und hob die Arbeitsfreudigkeit der agitatorischen und organisatorischen Kräfte. Leider waren es ihrer zu wenige, die in aller Klarheit die anarcho-syndikalistischen Gedanken beherrschten, so daß sie überlastet wurden. Andere ließen genügende Klarheit vermissen. Kurz, es war das Stadium des Kristallisationsprozesses, in dem sich unsere Bewegung befand. Ein Teil der Genossen wurzelte in der Parteibewegung, ein Teil mündete in der Richtung des Individualismus. So kam es bei der Freiheitlichkeit unserer Organisation, daß sie zum Tummelplatz mancher Wortakrobaten wurde. Dort, wo Klarheit bestand, war solches nicht möglich, da wurden solche Geister abgestoßen, oder sie wurden anderen Sinnes.

Daß eine Bewegung, die erst im Werden ist, darunter leiden muß, wird verständlich. In den Wirtschaftskämpfen hielten viele der Feuertaufe nicht stand, da ein ideelles Verbundensein mit der Organisation nicht bestand. Es ist die Sünde der Zentralverbände, die den Massen den Materialismus derartig einprägten, daß sie den Zweck ihres Verbündens nur in augenblicklichen materiellen Vorteilen sehen. Bei uns ist dies Nebenzweck, Hauptzweck die soziale Revolution. Nun soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß die laue Betätigung vieler Genossen, vornehmlich im letzten Jahre, als eine der Ursachen mit zugerechnet werden muß.

Das werden wohl die Hauptursachen sein. Kommen wir jetzt zum eigentlichen Thema.

Nicht die Beteiligung an den Betriebsratswahlen ist ein Entwicklungsfaktor, sondern die Aktivität der einzelnen Genossen, das darf vor allen Dingen nicht verkannt werden. Wenn diese Aktivität fehlt, ist unserer Bewegung auch nicht durch die Beteiligung an den Wahlen geholfen. Oder meinen die befürwortenden Genossen, daß der Tatendrang erst dann entfesselt wird, wenn man im Betriebsrat ist? Dort wird man noch mehr gelähmt. Die Mitgliedschaft im Betriebsrat ist dasselbe Glatteis wie das Parlament, wo schon mancher mit guten Vorsätzen Eingekehrte – zu Fall gekommen ist- Die gemachten Erfahrungen lehren es uns ja.

Nun erklärt ein Teil der Genossen: Wollen wir das Vertrauen der Masse gewinnen, so müssen wir etwas tun, was dem Massencharakter entspricht. Wie soll dieses ‚tun’ aussehen? Das, was uns durch die Gesetze so kärglich zusteht, heiß im Wortkampf zu erringen, kann unmöglich als eine ‚Tat’ angesehen werden. Außerdem kann das Betriebsrätegesetz als eine Plattform für den revolutionären Klassenkampf nicht umgeformt werden. Wie es mit dem Revolutionieren von innen steht, lehrt uns das Beispiel der KPD – Wir sehen, daß es auf gesetzlichem Wege allerdings etwas zu ‚machen’ gibt in der Beziehung, daß der Arbeiter sich immer mehr in den Gesetzen verstrickt, die angeblich gemacht sind, ihm Rechte zu verschaffen. In Wirklichkeit aber, um ihn zu fesseln. Ist dieses ‚machen’ nun revolutionär und nach unseren Erkenntnissen über den Staat und die Gesetze fortschrittlich zu nennen? Dann wäre unser Tätigkeitsfeld nicht die FAUD, sondern die alten zentralen Organisationen, die da in der sozialen Gesetzgebung ihre vornehmliche Arbeit erblicken. Was hat der Arbeiter davon gehabt? Ist seine soziale Lage gebessert? Die Statistik der Arbeitslosenziffer, des Hungertodes, der Selbstmorde und die Kämpfe des Proletariats um ihre Existenz reden von der Nutzlosigkeit der sozialen Gesetzgebung.

Wenn schon aber Aktivität besteht, dann brauchen wir kein Kompromiß mit dem Betriebsratsgesetz zu machen, dann kann dieselbe ganz und gar in den Dienst unserer Sache gestellt werden.

Gewiß wird bei einer Beteiligung an den Betriebsratswahlen sich zahlenmäßig erweisen, inwieweit die Sympathie der Arbeiter für syndikalistische Betriebsräte reicht und die Zahl wird sicherlich nicht gering sein. Warum? Weil sie sich größere Vorteile versprechen, da sie noch ‚radikaler’ sind. Radikale Worte nutzen aber nichts, wenn die Tat nicht folgt, und Taten können nur allgemein von der Belegschaft ausgeführt werden. Da wird es sich zeigen, ob mit der Sympathie einige Erkenntnis verbunden ist. Hinzu kommt, daß wir Propagandisten für den Generalstreik sind. Daher heißt es, unermüdliche Propaganda für den Generalstreiksgedanken zu entfalten. Unsere Genossen, die als Betriebsrat fungieren, werden die unfähigsten nicht sein. Durch ihre Tätigkeit aber hören sie auf, als Propagandisten zu wirken, da sie gewissermaßen gebunden sind. Das wird sicherlich kein Gewinn für unsere Sache sein.

Nehmen wir jetzt die Tätigkeit eines syndikalistischen Betriebsrates unter die Lupe, wo unsere Genossen in der Mehrzahl sind. Da ist noch längst nicht der Zeitpunkt da, wo lediglich unsere Forderungen zur Durchführung gelangen können. – Jetzt ist eine Lohnbewegung im Fluß. Dieser Bewegung gilt es, einen bedeutungsvolleren Inhalt zu geben. Im Anschluß daran können unmöglich die alten Kampfmethoden beibehalten werden. Das langwierige Verhandeln war bisher nicht unsere Sache und dürfte es dann auch nicht sein, wenn man sich im Betriebsrat befindet. Aus dieser geistigen Einstellung ergibt sich dann eine andere Methode. Nun werden die Wünsche der Belegschaft dem Unternehmer unterbreitet. Aus Erfahrung kennen wir die Rücksichtslosigkeit des Unternehmers, die ja nicht mal den bescheidenen Forderungen der zahmen Gewerkschaften Rechnung tragen. Es ist anzunehmen, daß unsere Forderungen, die der revolutionären Einstellung gemäß weitreichend sein werden, den Unternehmerstandpunkt noch stärker hervorrufen werden. Da müssten bei der Weiterentwicklung dieser Situation, die sicherlich in einen Kampf ausmündet, unsere Genossen ihr Mandat als Betriebsrat niederlegen, andernfalls sie am Kampf nicht direkt teilnehmen können. Bisher war der Betriebsrat die Bremsvorrichtung. Durch unsere Teilnahme soll dies vermieden werden, da sonst unser Ruf: Es lebe die direkte Aktion! ein Schlagwort, eine Phrase würde, Hier wird es sich zeigen, ob der sympathisierende Teil beisteht, ob er sich der Kampftaktik des Syndikalismus anschließt.

Schlimmer sieht es allerdings dort aus, wo die Zentralisten die Oberhand haben, und die Genossen Opfer gemeiner –Demagogie werden. Vermittels des Betriebsrätegesetzes mit seinen Klauseln ist es ein leichtes, mißliebigen Personen Fußangeln zu legen. Versammlungen können nicht immer gleich zu einer Richtigstellung der Dinge einberufen werden, während die Denunzianten zu einer Aussprache, sobald sie öffentlich stattfinden soll, nicht zu bewegen sind.

Lösung kann nur eine konsequente Haltung bringen, und da kann es nur heißen: Keine Teilnahme an einer gesetzlichen Institution getreu unserer Anschauung über Gesetz und Autorität. Wenn wir gleich den „Kommunisten“ jeden Augenblick die Parolen wechseln, leisten wir der Verwirrung Vorschub, die Massen haben gerade genug davon. Nur eine aufwärts steigende Linie können wir begrüßen, ein Zurück niemals.

Aufklärungsreden im revolutionären Sinne wird ein Betriebsrat schwerlich halten können, da laut Betriebsrätegesetz das Interesse des Betriebes nicht beeinträchtigt werden darf. Die Nichtbeachtung dieses Paragraphen bedeutet eine Schädigung des Betriebes, folglich ist sie strafbar. Also nur deshalb, weil der Betriebsrat das sagt, was er im Interesse der Arbeiter zu sagen hat, soll er bestraft werden. Bei einer syndikalistisch eingestellten Masse wäre dies ein Anlaß, ihren Wortführer zu schützen. Diese Konsequenz fehlt heute.

Kommen jetzt noch die Ursachen, die in ihrer Auswirkung so unheilvoll für die Arbeiterschaft geworden sind. Es ist dies das Vertretungssystem in der Form, wie es sich allüberall zeigt, wo zentralgewerkschaftliche Organisationen vorhanden. Diese Vertretungen haben sich zu Autoritäten (d.h. Machthabern) entwickelt, die über diejenigen, die durch das dauernde Vertretenlassen zu willenlosen Marionetten geworden, eine gebieterische Macht ausüben. Es liegt im Wesen der zentralistischen Organisation, daß sie sich mit der Zeit in einen künstlichen Überbau verwandelt, der starr seine diktatorische Macht über die ihm angehörenden Massen ausübt. Auch da, wo er mit dem wirklichen Leben im Widerspruch kommt. Wir sehen es in der Entwicklung des Staates, der seine Aufgaben längst erfüllt hat für eine Zeit, die der Vergangenheit angehört und nun den neueren Erkenntnissen über den gesellschaftlichen Aufbau Platz machen müsste. Statt vom Schauplatz abzutreten, betreibt der Staat eigene Interessenpolitik oder läßt sich von gewissen Kreisen beeinflussen, die mit ihm Geschäfte gemeinsam betreiben. Wir wissen, daß solche Geschäfte auf Kosten der Arbeiter gemacht werden. Immerhin hat sich der Arbeiter als Staatsbürger zu betrachten (wenn auch ohne Rechte), denn bei etwaigen Konflikten, in die der Staat verwickelt ist, hat er sich als Kanonenfutter zu betätigen, ob er will oder nicht. Schule, Kirche, Presse usw. haben die Aufgabe, die Arbeiterschaft zur Staatsgläubigkeit zu erziehen, damit sie sich mit dem Staate verbunden fühlen, daß ihr Wohl und Wehe von seinem Bestand abhängt. Auf diese Art und Weise produziert man Vaterlandsliebe. Wenn für eine derartige Auffassung kein Verständnis besteht, werden einfach Zwangsmaßnahmen ergriffen.

So ähnlich ist es auch mit den zentralen Organisationen der Arbeiterbewegung. Hat sich doch das System als unfähig erwiesen, die Kampfparolen, die anfangs erstrebenswert waren, als Massenorganisation durchzuführen, weil die Lebendigkeit oder besser die Beweglichkeit fehlte und an der Spitze sich eine besondere Gruppe mit Eigeninteressen gebildet hat, die lediglich in der Reformarbeit die längste Dauer ihrer Existenzmöglichkeit erblickt. Die Interessen der Arbeiter kommen erst in zweiter Linie in Betracht, und wenn das Geschick und die Führung in den Händen einzelner konzentriert ist, überhaupt nicht.

Das wird so oft wiederkehren, als die Arbeiter an der zentralen Organisationsform festhalten. Darum heißt es, eine lebendige Organisation zu schaffen, die wir in der Föderation erblicken, wo das Selbstbestimmungsrecht anerkannt wird. Automatisch erfolgt nun aber nicht die Lebendigkeit, wenn der Kern tot bleibt. Der föderalistische Aufbau ist im Gegensatz zum Zentralismus nur eine Form, in der die rege Tätigkeit eines jedes einzelnen, der die Befreiung der Arbeiterschaft von Ausbeutung und Unterdrückung anstrebt, keine Hemmung erleidet, soweit sich derselbe auf Grund freiwilliger Bindung zu den gegebenen Prinzipien, in denen unsere Erfahrungen aus der Praxis zusammengefaßt sind, bekennt.

Wenn wir nun zu solch einer Anschauung, die uns die Erfahrung gelehrt hat, gekommen sind und betrachten dann die Betriebsrätefrage, so müssen wir die Beteiligung an einer derartigen gesetzlichen Institution unbedingt ablehnen.

Jetzt werden die Genossen fragen, was denn zu tun sei, da es mit einer bloßen Kritik nicht getan ist. Recht so! Es heißt zunächst festzustellen, wieweit unser Einfluß in den Betrieben reicht, damit die Frage in unserem Sinne gelöst wird. Als erstes: Bildung eines Vertrauenskörpers, der die Aufgabe hat, als Verbindung der einzelnen Abteilungen eines Betriebes zu fungieren. Eine Angelegenheit einer Abteilung zur Kenntnis der gesamten Belegschaft zu bringen: darüber hinaus bei wichtigen Anlässen mit den Vertrauenskörpern der anderen Betriebe und der Arbeiterbörse die Situation zu beraten. Bei Forderungen, die an den Unternehmer gestellt werden, werden spontane Vertretungen aus der Belegschaft heraus gewählt, die dann nicht zu verhandeln haben, sondern nur die Vermittlung übernehmen und Handlungen der Belegschaft überlassen. Dann kann von Bestechung keine Rede sein. Kontrolle übt die Belegschaft selber. Bei allen Bewegungen hat die Arbeiterbörse für Weiterverbreitung des Kampfes und Regelung der Solidarität sich einzusetzen, eventuell die Lebensmittelfrage zu lösen. Die Arbeiterbörsen (Räte) werden die wichtigsten Funktionen in den Kämpfen zu übernehmen haben. Daß der Kampf auf revolutionärer Grundlage gestellt und unsere Taktik in Anwendung gebracht wird, ist Aufgabe eines jeden Genossen.

Das vornehmste Ziel wird der soziale Generalstreik, die Umstellung der kapitalistischen Wirtschaft in eine sozialistische, eine Bedarfswirtschaft sein, damit der Kulturgedanken des Anarchismus, die Herrschaftslosigkeit, Tatsache wird.

Darum durch den föderalistischen Zusammenschluß der anarcho-syndikalistischen Organisation zur direkten Aktion, zur Befreiung.

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 12/1925, abgedruckt in: FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven. Ergänzungsband, Bremen 2006

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