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Voltairine de Cleyre
Anarchismus und amerikanische Traditionen
Die amerikanischen Traditionen, die ursprünglich aus religiöser Rebellion,
kleinen auf sich selbst gestellten Gemeinden, den Bedingungen der Isolation
sowie einem hartem Pionierleben entstanden sind, bildeten sich während der
170jährigen Kolonialzeit zwischen der Gründung von Jamestown [1] und dem
Ausbruch der Revolution [2] heraus. Dieses war die eigentliche Epoche der
Verfassungsentstehung, das Zeitalter der gesetzlichen Garantien von mehr oder
weniger Freiheit, deren Grundtendenz von Wm. Penn [3] sehr gut beschrieben
wurde, als er über die Verfassung von Pennsylvania sagte: Ich will es meiner und
meiner Nachfolger Macht entziehen, Unheil anzurichten.
Die Revolution war die plötzliche und einheitliche Bewusstwerdung dieser
Traditionen, ihre laute Verkündung, der Schlag, den ein unzähmbarer Wille der
Gegenmacht der Tyrannei erteilte, die sich davon niemals vollständig erholt hat,
die sich aber von damals bis heute unaufhörlich neu formierte und die
Instrumente der Regierungsgewalt wieder an sich riss, die die Revolution
versucht hatte, als Verteidigungsmittel der Freiheit zu gestalten und zu
behaupten.
Der heutige Durchschnittsamerikaner hält die Revolution für eine Reihe von
Schlachten der patriotischen Armee gegen die Armeen Englands. Man lehrt die
Millionen Schüler unserer öffentlichen Schulen, Karten von der Belagerung
Bostons und Yorktowns zu zeichnen, die verschiedenen Feldzüge zu kennen und die
Zahl der Kriegsgefangenen auswendig zu wissen, die sich zusammen mit Burgoyne
ergeben haben; sie sollen sich an das Datum erinnern können, an dem Washington
den zugefrorenen Delaware überquerte; sie sollen Paolis Gedenken, Molly Stark
ist eine Witwe wiederholen, General Wayne Mad Anthony Wayne nennen und Benedict
Arnold verfluchen; sie wissen, dass die Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1776
unterzeichnet wurde und der Vertrag von Paris im Jahre 1783; dann glauben sie,
die Geschichte der Revolution gelernt zu haben - gesegnet sei George Washington!
Sie haben keine Ahnung, warum sie eine Revolution heißt und nicht Krieg gegen
England oder so ähnlich: so heißt sie eben, basta. Und die Wörteranbetung hat
die Kinder und die Erwachsenen so sehr im Griff, dass sie das Wort Amerikanische
Revolution für heilig halten, obwohl es für sie nicht mehr bedeutet als
erfolgreiche Gewaltanwendung, während das Wort Revolution ein verhasstes
Schreckgespenst ist, sobald damit eine immer noch bestehende Möglichkeit
bezeichnet wird. In beiden Fällen bedeutet für sie das Wort nicht mehr als
bewaffnete Gewalt. Schon ist eingetroffen, und seit langem schon, was Jefferson
[4] voraussah, als er schrieb:
Der Zeitgeist kann sich ändern und wird es. Unsere Regierenden werden korrupt,
unser Volk wird sorglos werden. Ein einzelner Fanatiker kann zum Verfolger
vieler besserer Männer werden. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass
die beste Zeit, um die wesentlichen Rechte gesetzlich zu fixieren, dann gekommen
ist, wenn die Regierenden ehrlich und wir selbst geeint sind. Nach dem Ende
dieses Krieges wird es mit uns bergab gehen. Dann wird es nicht mehr nötig sein,
in jedem Moment die Leute um Unterstützung zu bitten. Daher wird man sie
vergessen und ihre Rechte missachten. Sie werden sich selbst in der einzigen
Beschäftigung des Gelderwerbs verlieren und sie werden sich niemals mehr
vereinigen, um ihren Rechten den nötigen Respekt zu verschaffen. Immer schwerer
werden die Fesseln werden, die am Ende dieses Kriegs nicht gesprengt werden, bis
sich unsere Rechte entweder neu beleben oder ganz zusammenbrechen werden.
Die Männer, die damals den Geist ihrer Zeit zur Sprache brachten, sahen in den
Schlachten den geringsten Teil der Revolution; das waren die Tagesereignisse,
Angelegenheiten, denen sie als Teil ihres Spiels begegneten und mit denen sie
fertig werden mussten; worum es ihnen aber ging, vor, während und nach dem
Krieg, nämlich die wirkliche Revolution, das war eine Veränderung der
politischen Einrichtungen, damit die Regierung nicht mehr eine abgetrennte
höhere Macht sei, die mit der Peitsche über dem Volk steht, sondern eine
Dienststelle, verantwortlich, kostensparend, vertrauenswürdig (der aber nie so
blind vertraut werden sollte, dass sie nicht ständig überwacht werden würde),
dazu da, die Allgemeinheit betreffende Geschäfte zu führen und deren Grenze dort
zu setzen, wo die Freiheit des einen die Freiheit des anderen verletzen würde.
Sie leiteten also ihre Forderung nach einer minimalen Regierung aus demselben
sozialtheoretischen Grund ab wie der heutige Anarchismus seine Theorie der
Nichtregierung: nämlich, dass die gleiche Freiheit für alle das politische Ideal
sei. Der Unterschied liegt darin, dass die einen glaubten, die bestmögliche
Annäherung an das Ideal der gleichen Freiheit aller sei in den Belangen, die ein
gemeinsames Vorgehen erfordern durch das Mehrheitsprinzip zu erreichen (wobei
diese Herrschaft der Mehrheit auf einige einfache Regeln für Wahlen gestützt
werden könnten); während die anderen glauben, dass eine Herrschaft der Mehrheit
sowohl unmöglich als auch nicht wünschenswert sei; dass jede Regierung,
gleichgültig, wie sie zustandekommt, durch eine sehr kleine Minderheit
manipuliert wird, wie die Entwicklung der Regierungen in den Bundesstaaten und
der Bundesregierungen klar bewiesen hat; dass sich Kandidaten vor den Wahlen
lautstark zu Wahlversprechen bekennen, die sie dann im Amt offen missachten und
tun, was sie wollen; und selbst wenn der Mehrheitswille durchgesetzt werden
könnte, würde er die gleiche Freiheit aller untergraben, die man am besten
bewahrt, wenn sie den freiwilligen Vereinigungen der an einer gemeinsamen Sache
Interessierten überlassen wird, die weder den Desinteressierten noch den Gegnern
einen Zwang aufzuerlegen.
Zu den grundlegenden Übereinstimmungen der revolutionären Republikaner und der
Anarchisten gehört die Einsicht, dass das Kleine den Vorrang vor dem Großen hat;
dass das Lokale die Basis des Allgemeinen sein muss; dass es eine freie
Föderation nur geben kann, wenn die Gemeinden frei sind, die sich föderieren;
dass der Geist, der in den Gemeinden herrscht, sich auf den Rat der Föderation
überträgt und auf diese Weise eine örtliche Tyrannei das Mittel einer
allgemeinen Versklavung werden kann. Gerade die unermüdlichsten Verfechter der
Unabhängigkeit hielten es für äußerst wichtig, die Gemeinden von den
Einrichtungen der Tyrannei zu befreien, und haben sich deshalb nicht
hauptsächlich dem allgemeinen Kongress gewidmet, sondern sich in erster Linie um
ihre Heimatorte gekümmert, wo sie sich bemühten, aus den Köpfen ihrer Nachbarn
und Mitkolonisten die Einrichtungen des vererbbaren Eigentums, des
Staatskirchentums, der Klassengesellschaft, und sogar der Versklavung von
Afrikanern zu vertreiben. Obwohl sie im wesentlichen erfolglos blieben, sind es
doch die geringen Erfolge, die sie erzielten, denen wir unsere noch
übriggebliebenen Freiheiten verdanken, und nicht der Bundesregierung. Sie
versuchten, ihren Mitbürgern örtliche Initiative und unabhängiges Handeln
einzuschärfen. Der Autor der Unabhängigkeitserklärung [5], der im Herbst '76
seine Wiederwahl in den Kongress ablehnte, um nach Virginia zurückzukehren und
in der Versammlung seines eigenen Ortes [6] zu arbeiten, um dort das öffentliche
Erziehungswesen zu ordnen, das er mit Recht als gemeinsame Angelegenheit
betrachtete, sagte, sein Eintreten für öffentliche Schulen sei nicht mit der
Ansicht verbunden dem Privatengagement seine gewöhnliche Betätigung wegzunehmen,
das sehr viel besser mit allem zurecht kommt, zu dem es imstande ist; und um die
Einschränkungen, welche die Verfassung der Regierung auferlegt, zu
verdeutlichen, sagte er ferner: Beschränken wir die Regierung auf die
auswärtigen Angelegenheiten und lösen wir unsere Angelegenheiten von jener aller
anderen Nationen ab, mit Ausnahme des Handels, den die Händler am besten selber
organisieren werden, dann wird die allgemeine Regierung auf eine sehr einfache
und kostengünstige Organisation reduziert werden; ein paar einfache
Obliegenheiten, die von einigen wenigen Staatsdienern erledigt werden. Das war
also damals die Amerikanische Tradition, dass das private Engagement am besten
mit allem zurecht kommt, zu dem es imstande ist; und der Anarchismus erklärt,
dass das individuelle oder kooperative Privatengagement zu allen
gesellschaftlichen Unternehmungen imstande ist. Er verweist dabei auf die beiden
Bereiche der Erziehung und des Handels, die von den Regierungen der
Einzelstaaten und der Vereinigten Staaten organisiert und reguliert wurden, als
gerade jene, die mehr als alle anderen dazu beigetragen haben, die Amerikanische
Freiheit und Gleichheit zu zerstören, die Amerikanische Tradition zu verbiegen
und zu entstellen und aus der Regierung eine mächtige Maschine der Tyrannei zu
machen (wenn wir von den unvorhergesehenen Entwicklungen der Industrie einmal
absehen).
Die Revolutionäre wollten ein System der öffentlichen Erziehung errichten, in
dem der Geschichtsunterricht eine Hauptrolle spielen sollte; nicht, um das
Gedächtnis der Jugend mit den Daten von Schlachten oder den Ansprachen von
Generälen zu belasten, auch nicht, um aus den Indianern der Boston Tea Party [7]
den einzigen sakrosankten Mob der ganzen Geschichte zu machen, der verehrt, aber
auf gar keinen Fall jemals nachgeahmt werden soll: sondern mit der Absicht, dass
jeder Amerikaner wissen sollte, in welche Lage die Masse der Bevölkerung durch
gewisse Institutionen gebracht wurde, mit welchen Mitteln sie sich zu ihren
Freiheiten durchgekämpft hat und wie ihr diese Freiheiten immer und immer wieder
durch Regierungsgewalt, Betrug und Privileg abgejagt wurden. Nicht um in
Geborgenheit, Lobhudelei, selbstgefällige Trägheit, passive Hinnahme der
Handlungen einer Regierung zu versinken, die sich mit dem Etikett unsere eigene
schmückt, sondern um wachsame Vorsicht zu erzeugen, eine unaufhörliche
Beobachtung der Regierenden, eine Entschlossenheit, jeden Versuch der mit
Machtbefugnissen Ausgestatteten zu vereiteln, die Sphäre individuellen Handelns
zu verletzen - dieses war der Hauptgrund für die Revolutionäre, für allgemeine
Bildung zu sorgen.
Vertrauen, sagten die Revolutionäre, die die Kentucky-Resolutionen [8] annahmen,
ist überall der Vorläufer des Despotismus; eine freie Regierung gründet sich auf
Vorsicht, nicht auf Vertrauen; Vorsicht, nicht Vertrauen rät zu
verfassungsmäßigen Einschränkungen, die jenen Fesseln anlegen, die wir mit Macht
ausstatten müssen; dementsprechend hat unsere Verfassung die Grenzen
beschrieben, bis zu denen unser Vertrauen gehen kann... In Machtfragen wollen
wir nichts mehr vom Vertrauen in den Menschen hören, sondern ihn durch die
Ketten der Verfassung davon abhalten, Unheil anzurichten.
Diese Resolutionen bezogen sich insbesondere auf die Verabschiedung der
Fremdengesetze während der Regierung von John Adams [9], und stellten einen
Empörungsruf des Staates Kentucky gegen das Recht der Bundesregierung dar, sich
undelegierte Machtbefugnisse anzumaßen, denn wie sie sagten, jene Gesetze zu
akzeptieren hieße durch Gesetze gebunden zu sein, die nicht mit unserer
Einwilligung sondern von anderen gegen unsere Einwilligung gemacht worden sind -
das heißt, die von uns gewählte Regierungsform aufzugeben und unter einer
Regierung zu leben, die ihre Macht aus ihrem eigenen Willen ableitet und nicht
von unserer Ermächtigung. Gleichgerichtete Resolutionen wurden auch im
darauffolgenden Monat in Virginia verabschiedet; in jener Zeit sahen sich die
Staaten noch als der Bundesregierung übergeordnet an.
Diesen stolzen Geist der Vorherrschaft des Volkes über ihre Regierungen allen
einzuschärfen, das sollte der Zweck der öffentlichen Bildungseinrichtungen sein!
Man werfe einmal einen Blick in irgendein heute in den Schulen gebräuchliches
Geschichtslehrbuch und prüfe, wieviel von diesen Geist noch darin enthalten ist.
Im Gegenteil, vom vorderen bis zum hinteren Buchdeckel findet man nichts als den
billigsten Patriotismus, die ständige Einschärfung, die Taten der Regierung
möglichst fraglos hinzunehmen, das Wiegenlied von Ruhe, Sicherheit, Vertrauen -
die Lehre, dass das Gesetz nicht irren könne, ein Tedeum [10] zum Lobe der
ständigen Eingriffe der Bundesregierung in die Rechte der Einzelstaaten,
schamlose Verfälschung aller Rebellionen, wodurch die Regierung stets ins Recht
und die Rebellen ins Unrecht gesetzt werden, pyrotechnische Verherrlichungen von
Einheit, Macht und Stärke, sowie vollständiges Verschweigen der wesentlichen
Freiheitsrechte, die die Revolutionäre aufrechterhalten wollten. Das
antianarchistische Gesetz, das nach McKinley [11] verabschiedet wurde, ein viel
schlimmeres Gesetz als das Fremden- und Aufruhrgesetz, das den Widerwillen von
Kentucky und Virginia hervorgerufen hatte, wird als weise Vorsorge des
Allwissenden Vaters in Washington gepriesen.
Solcher Geist herrscht an den Schulen, die uns die Regierung gewährt. Man frage
irgendein Kind, was es von Shays' Rebellion [12] weiß und es wird antworten: Oh
ja, einige Farmer konnten ihre Steuern nicht bezahlen und Shays führte einen
Aufstand gegen das Gericht von Worcester an, so dass sie die Urkunden verbrennen
konnten; und als man in Washington davon erfuhr, schickten sie ihnen rasch eine
Armee, die ihnen eine ordentliche Lektion beibrachte - Und was ergab sich
daraus? Das Ergebnis? Nun ja - das Ergebnis - oh natürlich, ich erinnere mich -
man erkannte die Notwendigkeit einer starken Bundesgewalt um die Steuern zu
erheben und die Schulden einzutreiben. Wenn man es fragt, ob es etwas darüber
weiß, was die andere Seite gesagt hat, ob es weiß, dass die Männer, die ihre
Habe, Gesundheit und Stärke für die Befreiung des Landes eingesetzt haben, sich
nun im Gefängnis wiederfanden, verschuldet, krank, verstümmelt und arm, und an
Stelle einer alten Tyrannei einer neuen gegenüberstanden; dass sie gefordert
hatten, das Land solle der freie gemeinsame Besitz jener werden, die darauf
arbeiten wollen und keiner Tributpflicht unterworfen sein, dann wird das Kind
mit Nein antworten. Fragt es, ob es je Jeffersons Brief an Madison [13] gelesen
hat, in dem er schreibt:
Es gibt drei Gesellschaftsformen, die sich hinlänglich gut voneinander
unterscheiden lassen. 1. Ohne Regierung, wie bei unseren Indianern. 2. Unter
einer Regierung, auf die der Wille jedes einzelnen einen angemessenen Einfluss
besitzt; was in geringem Maß in England und in hohem Maß bei uns der Fall ist.
3. Unter einer gewaltsamen Regierung, wie es in allen anderen Monarchien der
Fall ist und auch in den meisten Republiken. Man muss sie sich ansehen, um sich
eine Vorstellung davon zu machen, welches Unglück die Existenz in diesen Staaten
bedeutet. Es ist eine Regierung von Wölfen über Schafe. Ich bin mir nicht klar
darüber, ob nicht der erste Zustand der beste ist. Doch glaube ich, dass er sich
nicht mit einer großen Bevölkerungszahl verträgt. Der zweite Zustand hat viel
Gutes für sich. ... Er hat auch einige Übel, von denen der ständige Umschwung
das gravierendste ist. ... Aber selbst dieses Übel erzeugt Gutes. Es verhindert
die Entartung der Regierung und nährt die allgemeine Aufmerksamkeit für
öffentliche Angelegenheiten. Ich behaupte, dass eine kleine Rebellion ab und zu
eine gute Sache ist.
Oder zu einem anderen Briefpartner:
Gott möge verhindern, dass wir jemals länger als zwanzig Jahre ohne eine solche
Rebellion bleiben! ...Welches Land kann seine Freiheiten behalten, wenn seine
Regierenden nicht von Zeit zu Zeit gewarnt werden, dass das Volk den
Widerstandsgeist noch nicht verloren hat? Sie sollen die Waffen erheben. ... Der
Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen
gegossen werden. Es ist sein natürlicher Dünger. Fragt irgendein Schulkind, ob
ihm je gelehrt wurde, dass diese Dinge von dem Verfasser der
Unabhängigkeitserklärung und einem der großen Begründer der öffentlichen Schulen
gesagt wurden, und es wird euch mit offenem Mund und ungläubigen Staunen
ansehen. Fragt, ob es je davon gehört hat, dass der Mann, der in der dunkelsten
Stunde unserer Krise das Horn geblasen hat [14], der den Mut der Soldaten wieder
erweckte, als Washington nur noch Meuterei und Verzweiflung vor sich sah, fragt,
ob es weiß, dass eben dieser Mann schrieb, dass die Regierung im besten Fall ein
notwendiges Übel und im schlimmsten Fall ein unerträgliches sei, und wenn es ein
wenig besser Bescheid weiß als der Durchschnitt, wird es antworten: Oh ja, der
war ein Ungläubiger! Fragt es über die Vorzüge der Verfassung aus, die es
gelernt hat, wie ein Papagei nachzuplappern, und es wird hauptsächlich von den
Befugnissen reden, die der Kongress erhalten hat und nicht von jenen, die ihm
vorenthalten wurden.
Das sind die Früchte der regierungsamtlichen Schulen. Wir Anarchisten zeigen auf
sie und sagen: Wenn die Anhänger der Freiheit wünschen, dass die Prinzipien der
Freiheit gelehrt werden, dann dürfen sie diesen Unterricht niemals irgendeiner
Regierung überlassen; denn das Wesen der Regierung besteht darin, eine für sich
bestehende abgetrennte Einrichtung zu werden, die auf dem Volk lastet und all
das lehren wird, was sie sicher auf ihrem Sessel erhalten wird. Was unsere Väter
über die Regierungen Europas sagten, das sagen wir nach 125 Jahren der
Unabhängigkeit auch über diese Regierung: Das Blut des Volkes wurde sein
Erbstück und jene, die sich daran mästen werden es nicht so leicht darauf
verzichten.
Die öffentliche Erziehung ist wahrscheinlich das subtilste und
wirkungsmächtigste Instrument um das Geschick einer Nation zu beeinflussen, weil
es mit dem Verstand und dem Geist eines Volkes zu tun hat; doch war der Handel,
da er mit materiellen Gegenständen zu tun hat und sofort spürbare Wirkungen
erzeugt, die Kraft, die sich als erste auf die papierenen Schranken der
Verfassung stürzte und die Regierung ihren Bedürfnissen anpasste. Hier kommen
wir zu dem Punkt, an dem wir einsehen können, wenn wir die 125 Jahre der
Unabhängigkeit überblicken, dass die einfache Regierung, die sich die
revolutionären Republikaner vorstellten, zum Scheitern verurteilt war. Das lag
(1) am Wesen der Regierung selbst; (2) am Wesen der menschlichen Natur; (3) am
Wesen des Handels und der Industrie.
Vom Wesen der Regierung habe ich schon gesagt, dass sie eine für sich bestehende
abgetrennte Einrichtung ist, die ihre eigenen Interessen zu Lasten aller ihr
entgegenstehenden verfolgt; alle Versuche, aus ihr etwas anderes zu machen
scheitern. Darin stimmen die Anarchisten mit den traditionellen Feinden der
Revolution überein, mit den Monarchisten, Föderalisten [15], streng
Regierungsgläubigen, den heutigen Roosevelts [16], den damaligen Jays [17],
Marshalls [18] und Hamiltons [19], jenem Hamilton, der als Finanzminister das
Steuersystem entwickelte, dessen unglückliche Erben wir sind und das zwei Ziele
hat: Das Volk vor Rätsel zu stellen, indem die Staatsfinanzen für jene
undurchschaubar werden, die dafür aufkommen; und als Mittel für die
Korrumpierung der Abgeordneten zur Verfügung zu stehen; denn er hing der Meinung
an, die Menschen seien nur durch zwei Mittel zu regieren, Gewalt und Eigennutz;
da Gewalt nicht in Frage kam, hielt er sich an den Eigennutz, die Geldgier der
Abgeordneten, und brachte eine Vereinigung von Leuten zustande, deren
Wohlergehen von jenem ihrer Wähler völlig getrennt war und die durch gemeinsame
Korruption und gemeinsames Interesse an der Ausplünderung zusammengehalten
wurden. Der Anarchist stimmt zu, dass sich Hamilton vollkommen logisch verhalten
und den Kern des Regierungsgeschäfts begriffen hatte; der Unterschied ist nur,
dass die Anhänger einer starken Regierung dergleichen für notwendig und
wünschenswert halten, während wir die entgegengesetzte Schlussfolgerung ziehen:
FORT MIT JEGLICHER REGIERUNG.
Was nun die menschliche Natur betrifft, so haben wir durch unsere nationale
Tradition gelernt, dass es ihr nicht entspricht, sich ständig in einem moralisch
hochgestimmten Zustand zu befinden. Das Vorausgesagte ist eingetreten: seit der
Revolution ging es mit uns bis heute bergab; wir gehen im bloßen Gelderwerb auf.
Der Wunsch nach materiellem Wohlergehen hat längst den Geist von '76 vertrieben.
Was ist das für ein Geist gewesen? Es war der Geist der Menschen von Virginia,
Nord- und Süd-Carolina, Massachusetts und New York, sich zu weigern, Güter aus
England einzuführen; es vorzuziehen (und durchzuhalten), grobe Kleidung aus
selbstgesponnenem Stoff zu tragen, Selbstgebrautes zu trinken, den Appetit an
das örtliche Angebot anzupassen, statt sich der Besteuerung durch das königliche
Ministerium zu unterwerfen. Doch schon in der Lebenszeit der Revolutionäre
verfiel dieser Geist. Bei den meisten Menschen und auf die Dauer ist die Liebe
zum materiellen Wohlstand immer größer als die Freiheitsliebe gewesen.
Neunhundertneunundneunzig von tausend Frauen interessieren sich mehr für den
Schnitt eines Kleides als für die Unabhängigkeit ihres Geschlechts;
neunhundertneunundneunzig von tausend Männern trinken lieber ein Glas Bier, als
sich gegen die Steuer, die darauf erhoben wird, aufzulehnen; und wieviele Kinder
würden nicht die Freiheit ihres Spiels gegen eine neue Mütze oder ein neues
Kleid verkaufen? Das ist es, was den komplizierten Mechanismus der Gesellschaft
hervorbringt, die Zahl der Regierungsangelegenheiten vervielfacht, und damit
auch die Stärke der Regierung und die entsprechende Schwäche des Volkes; das ist
es, was die Gleichgültigkeit in den öffentlichen Angelegenheiten hervorbringt
und so die Korruption der Regierung leicht macht.
Was das Wesen von Handel und Fabrikation betrifft, so besteht es darin, zwischen
jedem Winkel der Erde und jedem anderen eine Verbindung herzustellen und die
Bedürfnisse der Menschheit und ihr Verlangen nach materiellem Besitz und
Vergnügungen zu vervielfachen.
Zur amerikanischen Tradition gehört die weitestmögliche Isolierung der Staaten
voneinander. Sie sagten sich: Wir haben unsere Freiheiten durch schwere Opfer
und Kampf auf Leben und Tod gewonnen. Wir wollen jetzt alleine gelassen werden
und die anderen alleine lassen, um unsere Grundsätze zu erproben; um uns an die
Ausübung unserer Rechte zu gewöhnen; um von dem verderblichen Einfluss von
europäischem Protz, Prunk und Rang frei zu bleiben. Deren Abwesenheit schätzten
sie so hoch, dass sie voll Leidenschaft schreiben konnten: Wir werden noch sehr
häufig sehen, wie Europäer nach Amerika kommen, aber niemals wird je ein Mensch
beobachten, wie ein Amerikaner nach Europa zieht und dort bleibt. Ach je! Nach
weniger als hundert Jahren wurde und blieb es bis heute das höchste Ziel einer
Tochter der Revolution, sich ein Schloss, einen Titel und einen
heruntergekommenen Adligen mit dem Geld zu kaufen, das aus amerikanischer
Knechtschaft herausgepresst wurde! Und die amerikanischen Handelsinteressen
streben nach einem Weltreich!
In den ersten Zeiten der Revolte und der darauffolgenden Unabhängigkeit, schien
es das offensichtliche Schicksal der Amerikaner zu sein, als ein Landwirtschaft
treibendes Volk zu leben, das Lebensmittel und Rohstoffe gegen Fabrikwaren
tauscht. Damals wurde geschrieben: Solange die Landwirtschaft unsere
Hauptbeschäftigung ist, werden wir tugendhaft bleiben, und das wird solange der
Fall sein, wie es unbebautes Land irgendwo in Amerika gibt. Wenn wir erst einmal
wie in Europa in großen Städten zusammengepfercht sind, werden wir ebenso
korrupt werden wie die Europäer, und uns wie die Leute dort gegenseitig
auffressen. Genau das tun wir als unvermeidliche Folge der Entwicklung von
Handel und Fabrikation und der dazugehörigen Entwicklung einer starken
Regierung. Und die parallele Voraussage ist ebenfalls eingetroffen: Wenn dieses
riesige Land jemals unter eine einzige Regierung gestellt sein wird, dann wird
es sich um eine äußerst korrupte Regierung handeln, die gleichgültig und unfähig
ist, sich um die Probleme eines so ausgedehnten Gebiets zu kümmern. Es gibt
heute auf dem Angesicht der Erde keine so unverbesserlich und schamlos korrupte
Regierung wie jene der Vereinigten Staaten von Amerika. Manche sind grausamer,
tyrannischer, zerstörerischer; keine so vollständig käuflich.
Doch schon in den Tagen jener Propheten und sogar mit ihrer Zustimmung wurde das
erste Zugeständnis gemacht, das zu dieser späteren Tyrannei führte. Es wurde in
einem mit der Verfassung gemacht; und die Verfassung selbst wurde hauptsächlich
um das Bedürfnis der Gewerbetreibenden willen gemacht. So war sie ursprünglich
ein Instrument des Handels, das schon vorausahnen ließ, dass es die Freiheiten
der anderen ökonomischen Interessen des Landes, der Landwirtschaft und der
Arbeit, zerstören würde. Deren Misstrauen gegen die zentralisierte Macht ließ
sie die ersten zwölf Verfassungszusätze beschließen, doch vergeblich. Sie
versuchten, der Macht der Bundesbehörden unüberschreitbare Schranken zu setzen,
doch vergeblich. Sie verankerten die Freiheit der Rede und der Presse, das Recht
auf Versammlung und auf Petition im Gesetz, doch vergeblich. Tagtäglich sehen
wir, wie über all das rücksichtslos hinweggegangen wird, und sahen es mit
größeren und kleineren Unterbrechungen seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts.
Heute hält sich jeder Polizeileutnant zurecht für mächtiger als das
Bundesgesetz; und jener, der zu Robert Hunter sagte, das Ding in seiner Faust
sei stärker als die Verfassung, hatte vollkommen recht. Die Versammlungsfreiheit
ist eine amerikanische Tradition, die aus der Mode gekommen ist; heute ist der
Polizeiknüppel in Mode. Und das ist er aufgrund der allgemeinen Gleichgültigkeit
gegenüber der Freiheit und der immer weitergehenden Verfassungsinterpretation im
Sinne eines autokratischen Regimes.
Eine amerikanische Tradition besagt, dass ein stehendes Heer eine ständige
Bedrohung der Freiheit darstellt; während Jeffersons Präsidentschaft wurde die
Armee auf 3000 Mann verkleinert. Es ist amerikanische Tradition, uns aus den
Angelegenheiten anderer Nationen herauszuhalten. Es ist amerikanische Praxis,
uns in die Angelenheiten anderer überall einzumischen, von Westindien bis
Ostindien, von Russland bis Japan; und zu diesem Zweck haben wir ein stehendes
Heer von 83251 Mann.
Es ist amerikanische Tradition zu meinen, die finanziellen Angelegenheiten der
Nation sollten nach denselben Grundsätzen der schlichten Ehrlichkeit abgewickelt
werden, mit denen ein Einzelner sein eigenes Geschäft betreibt; nämlich, dass
Verschuldung eine schlechte Sache ist und der erste eintretende Überschuss auf
die Schulden zu verwenden sei; dass es nur wenige Büros und Bürokraten geben
sollte. Es ist amerikanische Praxis, dass die Staatsverwaltung ständig Schulden
in Millionenhöhe hat, sogar auf die Gefahr, eine Panik oder einen Krieg
herbeiführen zu müssen, um ihre Begleichung zu verhindern; und mit den
Staatseinnahmen werden zuallererst die Bürokraten bezahlt. Während der letzten
Regierungsperiode sollen 99000 Ämter geschaffen worden sein, die jährlich
63.000.000$ kosten. Oh Jefferson! Wie bekommt man freie Stellen? Wenige
entstehen durch Todesfälle; keine einzige durch Rücktritt. Roosevelt
durchschlägt den Knoten, indem er 99000 neue Stellen schafft! Wenige werden
sterben - keiner zurücktreten. Sie werden Söhne und Töchter hervorbringen, und
Taft [20] wird 99000 neue Stellen schaffen müssen! Wahrlich eine einfache und
nützliche Sache ist unsere Staatsverwaltung.
Es ist amerikanische Tradition, dass die Justiz den Ungestüm der Gesetzgebung
bremst, sollte diese die Grenzen der Verfassung überschreiten. Es ist
amerikanische Praxis, dass die Justiz jedes Gesetz bestätigt, das die Rechte des
Volkes beschneidet und jedes Gesetz verwirft, mit dem das Volk ein wenig von
seiner Freiheit wiederzuerlangen versucht. Noch einmal in den Worten Jeffersons:
Die Verfassung ist wie ein Stück Wachs in den Händen der Justiz, die es biegen
und in jede beliebige Form bringen kann. Wahrlich, wenn die Männer, die damals
den guten Kampf um ein einfaches, ehrliches, freies Leben gefochten haben, heute
auf die Stätte ihres Wirkens schauen würden, dann würden sie in den Ruf jenes
einstimmen, der sagte:
Leider muss ich jetzt in dem Glauben sterben, dass das nutzlose Selbstopfer der
Generation von '76, das sie erbrachte, um ihrem Land die Selbstregierung und das
allgemeine Glück zu erringen, von den törichten und unwürdigen Leidenschaften
ihrer Söhne fortgeworfen wird, und dass mein einziger Trost darin besteht, dies
nicht mehr miterleben zu müssen.
Was hat nun der Anarchismus zu all dem zu sagen, zu diesem Ruin des
Republikanismus, zu diesem modernen Weltreich, das auf den Trümmern unserer
früheren Freiheit errichtet wurde? Dazu sagen wir, dass die Sünde unserer Väter
darin bestand, nicht gänzlich auf die Freiheit vertraut zu haben. Indem sie den
Staat als notwendiges Übel ansahen, hielten sie einen Kompromiss zwischen ihm
und der Freiheit für möglich, und in diesem Augenblick begann das Ungetüm unser
heutigen Tyrannei zu wachsen. Gerade aus den Mitteln, welche die Freiheit
schützen sollen, wird die Peitsche, mit der die Freien geschlagen werden.
Der Anarchismus sagt: Macht keine Gesetze über die Rede, und die Rede wird frei
sein; sobald ihr auf dem Papier erklärt, dass die Rede frei sei, werdet ihr es
mit hundert Advokaten zu tun bekommen, die beweisen, dass Freiheit nicht
Missbrauch bedeutet und Freizügigkeit nicht Zügellosigkeit; und dann werden sie
anfangen zu definieren und am Ende die Freiheit wegdefiniert haben. Bleibt
hingegen die Garantie der freien Rede die Bereitschaft von jedermann, davon
Gebrauch zu machen, dann sind keine papierenen Deklarationen notwendig.
Andererseits, solange das Volk sich um den Gebrauch seiner Freiheit nicht
bekümmert, werden es jene tun, die es beherrschen wollen; denn Tyrannen bemühen
sich in immerwacher Leidenschaft, den Schlafenden im Namen irgendwelcher
religiöser oder nichtreligiöser Götter Fesseln anzulegen.
Das Problem liegt also darin, wie man die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit
aufstacheln kann. Der Freiheitsgeist wurde wie gesagt vom Kolonistenleben
genährt; und die Elemente des Kolonistenlebens waren der Wunsch nach religiöser
Unabhängigkeit, verbunden mit eifriger Wachsamkeit darüber; die Isolierung der
Pioniergemeinden voneinander, durch die jeder Mensch auf die eigene Kraft
angewiesen blieb, wodurch Menschen von umfassenden Fähigkeiten herangebildet
wurden, und die zugleich die wenigen existierenden sozialen Bindungen sehr fest
machte; und schließlich das vergleichsweise einfache Leben in den kleinen
Gemeinden.
All das ist heute verschwunden. Was die religiösen Sekten betrifft, so werden
sie höchstens durch eine gelegentliche idiotische Strafverfolgung einmal
interessant; sonst spielen einige wunderliche Sekten die Narrenrolle, sind alles
andere als heroisch und haben wenig mit dem Namen oder dem Gehalt der Freiheit
zu tun. Die alten religiösen Richtungen aus der Kolonialzeit sind allmählich zu
Säulen der Gesellschaft geworden, ihre Gegensätzlichkeit hat aufgehört, ihre
angriffslustigen Eigentümlichkeiten sind fortgewischt, sie ähneln jetzt einander
wie die Bohnen im Topf, sie bauen Kirchen - um darin zu schlafen. Was die
Gemeinden betrifft, so sind sie hoffnungslos und hilflos voneinander abhängig,
wie wir selbst ja auch, abgesehen von den immer weniger werdenden Leuten, die
sich durch Landwirtschaft vollständig selbst versorgen; und sogar diese sind die
Sklaven des Zinses geworden. Keine unserer Städte hat vermutlich Vorräte für
länger als eine Woche, und gewiss gibt es keine, die nicht restlos überfordert
wäre, die Nahrungsmittel für sich selbst zu produzieren. Als Antwort auf diese
Lage mit ihrer dazugehörigen politischen Tyrannei schlägt der Anarchismus eine
Selbstversorgungswirtschaft vor, die Auflösung der großen Gemeinden und die
Nutzung des Landes.
Ich sehe keineswegs klar voraus, dass dies geschehen wird; doch ich sehe ganz
klar, dass es geschehen muss, wenn die Menschen jemals wieder frei sein sollen.
Ich bin zu sehr davon überzeugt, dass die meisten Menschen den materiellen
Wohlstand der Freiheit vorziehen, um die Hoffnung zu haben, sie würden jemals,
bloß durch geistige oder moralische Anstachelung bewegt, das Joch der Herrschaft
abwerfen, das ihnen das heutige ökonomische System auferlegt, und freie
Gesellschaften gründen. Meine einzige Hoffnung liegt in der blinden Entwicklung
des ökonomischen Systems und der politischen Herrschaft selbst. Die große
Bedrohung für diese gewaltige Macht kommt von der industriellen Fabrikation.
Jede Nation strebt danach, ein Industrieland zu werden, das Waren ausführt und
nicht einführt. In der logischen Folge davon wird letztlich jedes Land einmal
seine Waren selber herstellen. Was wird dann aber aus dem Überschuss werden,
wenn die Hersteller keine Absatzmärkte mehr haben? Tja, dann steht die
Menschheit vor dem Dilemma, sich entweder inmitten des Überflusses hinzusetzen
und zu sterben oder sich die Güter selbst anzueignen.
Tatsächlich stehen wir schon heute teilweise vor diesem Problem; und bislang
ziehen wir das Hinsetzen und Sterben vor. Dennoch meine ich, das die Menschen
das nicht für immer tun werden; und wenn sie einmal durch einen Akt der
allgemeinen Enteignung die furchtsame Verehrung des Eigentums und die Angst vor
der Regierung überwunden haben, dann werden sie vielleicht darauf kommen, dass
die Dinge da sind, um genutzt zu werden, und also die Menschen wichtiger sind
als die Dinge. Daraus könnte sich der Freiheitsgeist wieder erheben.
Wenn ferner die Tendenz der Vereinfachung, der Erfindungen, die es kleineren
Gruppen von Arbeitern ermöglichen, die Vorteile der Maschinen zu nutzen,
ebenfalls ihrer eigenen Logik weiter folgt, dann werden sich die großen Fabriken
in viele kleine auflösen, denen die Bevölkerung folgen wird, und es kommen zwar
nicht die hart arbeitenden und sich selbst versorgenden Pioniergemeinden des
frühen Amerika wieder zum Vorschein, sondern statt dessen entlang der
Transportwege tausende von kleinen Gemeinden, die größtenteils für den eigenen
Bedarf produzieren, die auf sich selbst gestellt und damit unabhängig sein
können. Denn für Gesellschaften gilt dieselbe Regel wie für Individuen - jene
können frei sein, die ihren Lebennsunterhalt selbst verdienen.
Was die Auflösung jener widerwärtigsten Schöpfungen der Tyrannei betrifft, dem
stehenden Heer und der Marine, so ist es offensichtlich, dass die Menschen
solange irgendeine Art von Streitkräften haben werden, wie sie den Wunsch haben,
einander zu bekämpfen. Unsere Gründungsväter glaubten, dass sie einem stehenden
Heer durch die Aufstellung einer Freiwilligenmiliz vorgebeugt hätten. In unserer
Zeit mussten wir jedoch erleben, wie diese Miliz zum Bestandteil der regulären
Armee der Vereinigten Staaten erklärt wurde sowie denselben Anforderungen
unterworfen wurde wie die regulären Truppen. In der nächsten Generation werden
wir vermutlich erleben, dass ihre Mitglieder von der Regierung Sold erhalten. Da
jede Verkörperung des Kampfgeistes und jede militärische Organisation
unvermeidlich zur Zentralisierung tendiert, folgert der Anarchismus, dass die am
ehesten erträgliche Form von Streitkräften jene sind, die sich in einem Moment
freiwillig verbinden, wie die Minutemen [21] von Massachussetts und sich sofort
wieder auflösen, wenn der Anlass, aus dem sie entstanden sind, vorüber ist: dass
wirklich wünschenswert aber nur ein Zustand ist, in dem alle Menschen - nicht
nur die Amerikaner - in Frieden leben; und dass, um dies zu erreichen, alle
friedliebenden Menschen der Armee ihre Unterstützung entziehen und verlangen
sollten, dass wer Krieg führt dies auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko tun
soll; und dass keine Bezahlung und keine Rente jenen gewährt wird, die aus dem
Töten ein Gewerbe machen.
Was die amerikanische Tradition der Nichteinmischung betrifft, so fordert der
Anarchismus, sie auch auf die Individuen anzuwenden. Er verlangt keine scharf
bewachte Isolierung; er weiß, dass eine solche Isolierung nicht wünschenswert
und auch nicht möglich ist; aber er lehrt, dass eine flüssige, sich den
gegenseitigen Bedürfnissen frei anpassende Gesellschaft entstehen wird, in der
die ganze Welt allen Menschen in dem Maße gehören wird, wie jeder von ihnen dies
braucht oder wünscht, sobald sich alle Menschen streng um ihre eigenen
Angelegenheiten kümmern.
Und wenn die Moderne Revolution solcherart zum Herzen der ganzen Welt gebracht
sein wird - falls das je geschieht, wie ich hoffee - dann können wir hoffen,
dass der stolze Sinn unserer Väter wieder erstehen wird, der die einfache Würde
des Menschen über den Prunk von Reichtum und Dünkel stellte, und behauptete, es
sei größer, ein Amerikaner zu sein als ein König.
Dann wird es keine Könige und keine Amerikaner mehr geben - nur noch Menschen;
auf der ganzen Erde, MENSCHEN.
[1] Am 24. Mai 1607 von 120 Siedlern der London Company an der Mündung des James
River gegründet. 1619 fand hier die erste gesetzgebende Versammlung von Siedlern
in den nordamerikanischen Kolonien statt. Hauptstadt der Kolonie Virginia bis
1698, dann aufgegeben.
[2] Gemeint ist vermutlich die Unabhängigkeitserklärung der 13 britischen
Kolonien in Nordamerika vom 4. Juli 1776.
[3] William Penn, gründete 1783 die Quäkerkolonie Pennsylvania.
[4] Thomas Jefferson (1743-1826), Mitverfasser der Unabhängigkeitserklärung
(1776), Gouverneur von Virginia (1779-1781), erster Außenminister (1789-1793)
der USA, Vizepräsident (1797-1800) und Präsident der Vereinigten Staaten
(1801-1809), Gründer der Universität von Virginia (1825).
[5] gemeint ist Thomas Jefferson.
[6] Williamsburg (Virginia), wo Jefferson als Mitglied des Delegiertenhauses von
Virginia tätig war. Bis 1779 erarbeitete er mit anderen zusammen einen Bericht
zur Revision der früheren Gesetze Virginias, in dem es v.a. um das Strafrecht,
die Volksbildung und die Glaubensfreiheit ging.
[7] Als Indianer verkleidete Siedler stürmten 1773 drei britische Handelsschiffe
im Hafen von Boston und warfen die Ladung -Kisten mit Tee- über Bord, um gegen
denn Einfuhrzoll für Tee (faktisch das Tee-Monopol der Britischen
Ostindien-Kompanie) zu protestieren. Alle früheren Sondersteuern waren bereits
aufgehoben worden, um die bereits ziemlich rebellischen Siedlergemeinden zu
beruhigen. Die Boston Tea Party führte jedoch zu einer erneuten Eskalation des
Konflikts, der 1775 in den Unabhängigkeitskrieg mündete. 1783 erkannte
Großbritannien die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten an.
[8] Virginia- und Kentucky-Resolutionen. Die Staaten Virginia und Kentucky
verabschiedeten 1798 und 1799 Protestresolutionen gegen die Fremden- und
Aufruhrgesetze des US-Kongresses von 1798, die in Voraussicht eines Krieges mit
Frankreich die Rechte französischer und irischer Einwanderer einschränkten
(Verlängerung der Einbürgerungsfrist, Möglichkeit der Internierung im
Kriegsfall, Ausweisungsrecht), sowie Aufruf zum Widerstand gegen Gesetze nach
Bundesrecht strafbar machten. In den Virginia- und Kentucky-Resolutionen wurde
argumentiert, die Bundesregierung entstamme einem Vertrag zwischen den Staaten
und folglich verblieben alle nicht ausdrücklich übertragenen Befugnisse bei den
Staaten oder beim Volk. Ferner folge daraus das Recht der Staaten, die
Verfassungsmäßigkeit der Bundesgesetzgebung zu überprüfen. Die übrigen Staaten
schlossen sich diesen Ansichten nicht an.
[9] John Adams, 1735-1826, zweiter Präsident der USA (1797-1801).
[10] Tedeum (laudamus), wörtlich Dich Gott (loben wir), ein lateinischer
Standardtext des christlichen Gottesdienstes.
[11] 1901 hatte der sich als Anarchist ausgebende Leon Czolgosz den Präsidenten
der USA William McKinley (geb. 1843) ermordet.
[12] Shays' Rebellion, nach Daniel Shays (1747-1825), einem seiner Anführer,
benannter Aufstand in Massachussetts 1786-87, der sich gegen zu hohe Steuern und
die wirtschaftliche Notlage und harte Behandlung von Schuldern durch die Justiz
richtete. Nach Niederschlagung des Aufstands wurde in Massachussetts die
rechtliche Lage von Schuldnern erleichtert.
[13] James Madison, 1751-1836, entwarf 1781 die Verfassung der USA, 1789-1797
Mitglied des Repräsentantenhauses, 1801-1809 Außenminister, 1809-1817 Präsident
der USA.
[14] Bezieht sich auf Thomas Paine (1737-1809), britischer Demokrat. Das Zitat
stammt aus seiner Schrift Common Sense (1776), die großen Einfluss auf die
amerikanischen Revolutionäre hatte.
[15] Der Ausdruck bezeichnet in der amerikanischen Geschichte die Anhänger einer
starken Bundesgewalt, die den Vorrang über die einzelnen Bundesstaaten besitzen
soll, in Unterschied zur libertären Verwendung des Wortes, die gerade das
Gegenteil meint.
[16] Theodore Roosevelt, von 1901-09 Präsident der USA.
[17] John Jay (1745-1829), Jurist und Politiker, 1789-95 erster Oberster Richter
der USA.
[18] John Marshall (1755-1835), seit 1801 vierter Oberster Richter der USA.
Begründete u.a. das Recht des Obersten Gerichtshofes der USA, Gesetze auf ihre
Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.
[19] Alexander Hamilton (1755-1804), wirkte an der amerikanischen Verfassung
mit. 1789-95 erster Schatzminister der USA. Stand als Führer der Federalist
Party, die für eine starke Bundesgewalt eintrat, hinter den Fremden - und
Aufruhrgesetzen von 1798.
[20] William Howard Taft, 1857-1930, konservativer Politiker, von 1909-13
Präsident der USA.
[21] Minutemen, Milizionäre, die jederzeit -wörtlich: innerhalb einer Minute-
einbeerufen werden konnten. Das System der Minutenmänner wurde 1774 in
Massachussetts, danach auch in einigen anderen Staaten eingeführt.
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