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Kreszentia "Zenzl" Mühsam

 

Kreszentia „Zenzl“ Mühsam, die Witwe Erich Mühsams, flüchtete im Juli 1934 nach dessen Ermordung im KZ Oranienburg nach Prag, wohin auch der Nachlass Erich Mühsams gebracht wurde. Von Prag aus wollte sie ihre Erfahrungen mit der Foltertortur ihres Man­nes in eine Broschüre einbauen und die Weltöffentlichkeit auf das Schicksal der KZ-Häftlinge aufmerksam machen. Ein Mitkämpfer Erich Mühsams aus Räte­zeit und Festungshaft, ein aus der Partei ausgeschlossener KPD-Funktionär, ehe­maliger Mitarbeiter des sowjetischen Mi­litärapparats und Dissident (Ernst Wol­lenberg) war ebenfalls geflüchtet – von Moskau nach Prag - und half Zenzl bei der Arbeit an der Broschüre. Nach eher frustrierenden Erfahrungen mit anarchis­tischen Verlagen, wurde diese im Januar 1935 unter dem Titel „Der Leidensweg Erich Mühsams“ vom Mopr-Verlag der kommunistischen Internationalen Roten Hilfe (IRH) herausgegeben. Ermöglicht wurde dies durch die Vermittlung der in Moskau lebenden Bolschewistin Helena Stassova, die die Mühsams 1919 kennen gelernt hatten und mittlerweile General­sekretärin der IRH war. Dahinter steck­ten grössere Pläne Moskaus: Denn dass die Witwe Erich Mühsams in Kontakt mit einem „Parteifeind“ wie Wollenberg war und vor hatte, unter anderem auch Mühsams Tagebuch aus der Rätezeit zu veröffentlichen - was unweigerlich auch seine Kritik an der Rolle der kommu­nistischen Funktionären aufgezeigt hätte - beunruhigte Moskau. Der Nachlass in­teressierte das Regime auch aus anderen Gründen: Die Korrespondenz Mühsams mit Parteikadern und linken Bewegungen konnte als „Belastungsmaterial“ gegen unliebsame GenossInnen inner- und aus­serhalb der Partei genutzt werden. Trotz Warnungen von so prominenten anar­chistischen FreundInnen wie Rudolf und Milly Rocker oder Emma Goldman fuhr Zenzl schliesslich auf mehrmalige Ein­ladung Stassovas im August 1935 nach Moskau. Denn Zenzl war keine organi­sierte Politische und wurde einmal von Rudolf Rocker wegen ihrem rebellischen Gerechtigkeitssinn liebevoll als „ge­fühlsmässige Anhängerin sozialistischer Bestrebungen“ bezeichnet. Die meisten Werke ihres Mannes liess Zenzl in der Obhut der Linkskommunistin Ruth Oes­terreich in Prag und nahm nur einige The­aterstücke mit. In Moskau angekommen, schloss Zenzl mit verschiedenen Verla­gen (z.B. Deutscher Arbeiterverlag, Jun­ge Garde) Verträge über die Publizierung von verschiedenen Mühsam-Werken ab. Mehrmals sprach sie an Versammlungen über die deutschen KZ und das Schick­sal der Angehörigen, arbeitete an einem Film über Erich Mühsam mit, während ihr Neffe Peps sich einem Architekturstu­dium widmete.  

Merkwürdiges Verschwinden 

Am 13. April 1936 erhielten Rudolf und Milly Rocker eine Ansichtskarte als letz­tes Lebenszeichen von Zenzl. Da auf weitere Briefe keine Antwort kam, mach­ten sich die Rockers Sorgen. Eine Verhaf­tung wurde aufgrund der guten Beziehun­gen zu Stassova und dem Mopr-Verlag vorerst nicht vermutet, eher ernsthafte gesundheitliche Probleme. Im Mai 1936 erhielten die Rockers aus Paris erste Hin­weise, dass Zenzl verhaftet worden sei. W. de Wit., ein holländischer Bekannter Zenzls, der sie und ihren Neffen Peps in Moskau öfters besuchte, informierte im Juli 1936 die Rockers brieflich über nähere Einzelheiten der Geschehnisse: Zenzl sei nach erfolgreichen Verhandlun­gen über Arbeiten Mühsams mit einem Moskauer Literatur-Institut am 23. April 1936 vom Volkskommissariat für innere Angelegenheiten verhaftet worden. Die Frau de Wits sei nach einer nicht einge­haltenen Verabredung zu Peps gegangen, um Informationen zu erhalten. Peps er­hielt aber in Zenzls Hotel die Auskunft, diese sei ausgegangen. Als Peps versuch­te in Zenzls Zimmer nachzuschauen, be­merkte das Zimmermädchen, das der ent­sprechende Schlüssel am Schlüsselbund fehlte. Im Büro der IRH wollte niemand vom Verbleib Zenzls etwas wissen – Ge­neralsekretärin Helena Stassova habe erst nach vier Tagen die Verhaftung von Zenzl Mühsam zugegeben. Im letzten Gespräch zwischen Peps und Stassova habe sie er­klärt: „Übrigens, der Nachlass von Müh­sam ist keine Privatangelegenheit der Fa­milie Mühsam.“ Peps sei der Kontakt zu seiner Tante verweigert worden.

Rudolf Rocker informierte daraufhin verschiedene FreundInnen in den USA. Weltweit gab es Proteste vor sowjetischen Gesandtschaften. Roger Baldwin, Vorste­her von American Civil Liberties Union und Vorsitzender des überparteilichen International Comitee for Political Pri­soners, nahm mit dem sowjetischen Ge­sandten Kontakt auf und erkundigte sich nach dem Verbleib Zenzls. Nach einigen Monaten bekam er die Auskunft, Zenzl habe „die Gastfreundschaft der Sowjet-Union missbraucht“. Der Nachlass – in­zwischen von Zenzl nach Moskau geholt – schien Anlass für die Verhaftung gewe­sen zu sein. Sie wurde in der Nacht vom 23.4.1936 wegen „konterrevolutionärer Aktivitäten“ festgenommen. Die Bewei­se waren in den Augen der Verfolger er­drückend: Auslands-Korrespondenz mit AnarchistInnen, Kontakt mit Wollenberg, unter Folter erpresste, falsche Geständ­nisse von vorher Verhafteten.

Peps wurde auch kurz inhaftiert und ver­lor den Kontakt zu seiner Tante. Offen­bar in der Annahme, sie sei ins Ausland abgeschoben worden, schrieb er an eine Bekannte in Prag und fragte diese, ob sie etwas über den Verbleib Zenzls wüsste. Zenzls FreundInnen waren alarmiert und befürchteten ihre Liquidierung. Baldwin erkundigte sich bei der sowjetischen Ge­sandtschaft und auf deren Empfehlung Ende Februar 1937 auch bei Helena Stassova, ob Zenzl in die USA ausreisen dürfe. Einen Monat später antwortete Stassova, dass es Zenzl gut gehe, sie sei in einem Sanatorium gewesen und befin­de sich zur Zeit wieder in Moskau. Der misstrauische Baldwin schrieb daraufhin Zenzl einen Brief (c/o Helena Stassova). Im August erhielt er die Antwort: eini­ge oberflächliche Zeilen, die entgegen Zenzls Gewohnheit mit Schreibmaschi­ne geschrieben waren – sogar die Un­terschrift. Offensichtlich ein fabriziertes Produkt, das auf Basis des Briefwechsels mit den Rockers und anderen zusammen­gezimmert wurde. Merkwürdig kam Ru­dolf Rocker auch die im Brief erwähnte Behauptung vor, Erich Mühsams Tagebü­cher würden sich jetzt im Gorki-Institut befinden. Denn Rocker hatte Zenzl vor ih­rer Abreise geraten, nur bereits gedruckte Arbeiten mitzunehmen und den Rest des Nachlasses in Prag zu lassen – Zenzl war dem auch nachgekommen. Zudem hatte Erich Mühsam Zenzl und Rudolf Rocker gemeinsam als Nachlassverwalter einge­setzt und konnte somit nicht allein über die Tagebücher entscheiden. Da Zenzl zuverlässig war, vermutete Rocker, dass sie unter Zwang gehandelt hatte.

Baldwin versuchte in brieflichen Kontakt mit Zenzl zu kommen, lud sie deshalb in die USA ein und ermittelte sogar den Wohnort einer in Kansas City lebenden Schwester Zenzls, die bereit war ein Affi­davit auszustellen. Nach unverbindlichen Antworten versandete der Briefwechsel. Auch die spanische Confederacion Na­cional del Trabajo (CNT) versuchte ver­geblich, Zenzl Mühsam eine Ausreise (nach Spanien) zu ermöglichen.  

Gefangen im System 

Zenzl Mühsam war weder im Sanatorium noch in Moskau in guter Verfassung. Am 9. Oktober 1936 war sie nach 6 Monaten Untersuchungshaft aus dem Butyrka-Gefängnis entlassen worden. Sie war ob­dachlos und Bekannte weigerten sich aus Angst vor einer Verhaftung, ihr zu helfen. De Wit half ihr schliesslich, informierte Helena Stassova, welche Zenzl in einem Haus der IRH unterbrachte – unter stren­ger Beobachtung der Obrigkeit. Zenzls Situation schien hoffnungslos: Nahm sie Hilfe aus dem Ausland an, riskierte sie den Vorwurf staatsfeindlicher Kon­takte. Blieb sie im Haus der IRH, drohte ihr ebenfalls Verhaftung. Unter diesem Druck verkaufte sie dem Maxim-Gorki-Institut den Nachlass Mühsams für eine Unterhaltsrente von monatlich 500 Rubel. Im November 1938 führte ihr Gesuch um ein Ausreisevisum in die USA zu einer zweiten Verhaftung und sie wurde wegen „Missbrauch des Gastrechts und Teilnah­me an konterrevolutionären Organisation und Agitation“ zu acht Jahren Zwangsar­beit verurteilt und in ein Frauenstraflager in der Steppe Mordwiniens deportiert. Auch Neffe Peps verschwand in einem Gulag, wo er starb. 

1947 stiess Rudolf Rocker in einer deut­schen Zeitung aus Santiago (Chile) auf eine Spur: eine in Stockholm lebende deutsche Kommunistin berichtete von ih­ren Erlebnissen im russischen Exil. Auch sie wurde wie viele andere 1937 in ein Gulag in Sibirien verschleppt und wurde 1940 – in der Zeit des Hitler-Stalin-Pakts - ins Moskauer Butirki-Gefängnis ge­bracht. Zusammen mit 28 Männern und zwei Frauen sei sie dann vom NKWD an die deutsche Grenze gebracht worden, um in Brest-Litowsk an die deutsche Ge­stapo ausgeliefert zu werden. Sie sei mit Zenzl Mühsam in einer Zelle gewesen, diese sei aber nicht wie die anderen den Gestapo ausgeliefert worden, denn die Zellenälteste Zenzl habe gedroht, sich im Falle einer Auslieferung vor einen Zug zu werfen. Buber-Neumann und die an­deren wurden ausgeliefert, Zenzl nach 10 Monaten Haft in Butirki nach Mordovien deportiert und ins Straflager Nr. III von Javas gesteckt. Wieso das sowjetische Re­gime Zenzl nicht an die Nazis auslieferte, ist unklar. In Frage kommen die Angst vor dem Skandal, die bekannte Witwe eines noch bekannteren Opfers der Nazis an das Dritte Reich auszuliefern – oder das Desinteresse der Nazis, da Zenzl im Juni 1935 von den deutschen Behörden ausgebürgert worden war (wegen „Ver­breitung von Gräuelpropaganda“) und in einem ähnlichen Fall (der ebenfalls ausgebürgerten Carola Neher, Schau­spielerin, „trotzkistische“ Wollenberg-Bekannte und Zellengenossin Zenzls) die Deutschen an einer Auslieferung auch nicht interessiert gewesen waren. 

1941, nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion stand Zenzl als „Hochverrä­terin“ auf der Fahndungsliste der SS. In einer Fabrik des Straflagers Potbor nähte sie bis Kriegsende Uniformen und wur­de am 16.11.1946 nach Beendigung der achtjährigen Strafe, wie viele vor ihr, in die Verbannung entlassen. Im März 1947 wurde sie obdach- und arbeitslos in der Nähe von Nowosibirsk aufgegriffen und nach Moskau geschickt. Dort wartete sie zusammen mit anderen deutschen poli­tischen MigrantInnen im Hotel Lux auf ihre Rückkehr nach Deutschland.

Der sich in Berlin befindende Wilhelm Pieck erfuhr durch Roberta Gropper - ei­ner ehemalige kommunistischen Reichs­tagsabgeordneten und 1940 Zellengenos­sin von Zenzl Mühsam und Margarete Buber-Neumann - dass Zenzl in Moskau sei. Gropper warnte vor der Rückkehr Zenzls, „da Zenzl Mühsam über das, was sie gesehen und gehört, nicht schweigen wird, sondern, wie ich sie kenne, auf der anderen Seite gegen die SU stehen wird. Sie fasste die Verhaftung als eine unge­heuerliche Beleidigung ihres Mannes auf und kann diese Angelegenheit nur vom persönlichen Standpunkt aus betrachten.“ Diese mehr als unsolidarische und denun­zierende Haltung bedeutete für Zenzl bald ein Aufenthaltsverbot in Moskau – sie wurde dann 200km östlich von Moskau in Iwanowo in einem von einer schweizer Kommunistin gegründeten Kinderheim in der Wäscheausgabe beschäftigt. 

Wo ist Zenzl Mühsam? 

Am 6. April 1948 – dem 70. Geburtstag Erich Mühsams – stellte der Berliner „Sozialdemokrat“ eine Frage, die zu einem heftigen medialen Schlagabtausch mit der Redaktion des „Neues Deutschland“ (ND), der Zeitung der Sozialistischen Einheitspartei führte: „WO IST ZENZL MÜHSAM?“. Abgedruckt wurde ein Brief von Walter Hanke, den er an die ND geschickt hatte, der aber nicht abgedruckt wurde – die ND-Redaktion behauptete gar, er sei gar nicht nie angekommen. Hanke wollte wissen, was aus Mühsam geworden war und erwähnte auch das Erlebnis von Margarete Buber-Neumann.

Das Neue Deutschland protestierte tags darauf gegen die Redaktion des Sozialdemokrat und warf dieser vor, sich durch „den angeblichen Brief eines Walter Hanke dazu verleiten liess, die niederträchtigsten Verdächtigungen gegen die Sowjetunion auszusprechen.“ Nach weiteren Vorwürfen trumpfte die ND auf und behauptete, aus der Sowjetunion von Zenzl Mühsam einen Brief erhalten zu haben und zitiert aus diesem: 

„Ich habe in der Zeitung „Neues Deutschland“ vom 18. September 1947 gelesen, dass meinem Mann Erich Mühsam in Britz ein Gedenkstein gesetzt wurde. Da ich dadurch erfahren habe, dass mein Mann nicht vergessen ist, möchte ich sie darauf aufmerksam machen, dass er am 6. April siebzig Jahre alt geworden wäre. Ermordet wurde mein Mann in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934 in Oranienburg. Die Mörder sind der SS-Kommandant von Eicke und Rottenführer Werner. Erich Mühsam war nicht nur ein aufrechter und tapferer Revolutionär, sondern auch ein Dichter, der für die Zukunft bleiben wird. Ich lebe für diese Aufgabe weiter. Ich bin Erbin vom Nachlass und meines Mannes Wunsch war, dass ich von dem, was er hinterlassen hat, lebe. Seine ungedruckten Arbeiten befinden sich im Gorki-Museum in Moskau (Tagebücher 1905-1925). Diese Sachen habe ich aus Deutschland gebracht und die Russen haben sie über den Krieg gerettet. Ich grüsse Sie und den Genossen Schlimme mit vielem Dank für das Gedenken meines Mannes.

Eure Genossin Zensl Mühsam“ 

Am 8. April doppelte das ND nach: 

„Zum Weitersagen.. Der 70. Geburtstag des Dichters Erich Mühsam war bekanntlich für den Sozialdemokrat gut genug, die freche Behauptung aufzustellen, dass die Sowjet-Union Zensl Mühsam, seine Frau, 1941 an die Gestapo ausgeliefert habe. Wir veröffentlichten am 7. April einen Brief von Zensl Mühsam, die sich in der Sowjet-Union befindet. Wir erhalten heute die Zuschrift von Frau Gertrud Steier, Berlin, in der es heisst: „Ich lese im heutigen Sozialdemokrat einen Artikel: Wo ist Zensl Mühsam? Ich erhielt gerade diese Tage von einer Genossin eine Postkarte aus der Sowjet-Union, auf der auch die Genossin Zensl Mühsam einen Gruss für mich schrieb. Wie unverschämt lügt doch der Sozialdemokrat.““ 

Die ND-Redaktion dazu: „Wir fragen heute, wann wird der Sozialdemokrat der Wahrheit die Ehre geben? Warten wir noch einige Tage.“ Schnell verstummte die Polemik des ND, als der Sozialdemokrat mehrmals die Überprüfung des Mühsam-Briefes verlangte und ihn Personen vorlegen lassen wollte, die Zensls Schrift kannten. Nach vergeblichem Bemühen warf der Sozialdemokrat der ND Fälschung vor. Briefeschreiber Hanke, der die ganze Auseinandersetzung auslöste, verlangte vom ND die Anschrift von Getrud Steier, die angeblich die Postkarte von Mühsam erhalten haben wollte. Margarete Buber-Neumann dokumentierte später den Briefwechsel zwischen Hanke und Steier in ihrem Sozialdemokrat-Artikel „Tote Seelen im 20. Jahrhundert“ (31.5.1949). Steier beantwortete mit jeweils grosser Verspätung Hankes Briefe und behauptete sogar Mühsam komme bald nach Deutschland. Mit der Zeit versandeten die Briefwechsel. Von Dr. Fritz Löwenthal, Autor der 1948 in Berlin erschienenen Schrift „Ihr Schicksal in der Sowjet-Union (Deutsche Kommunisten als Opfer der NKWD)“, erfuhren Rocker und Hanke im April 1949 neben teilweise schon Bekanntem auch folgendes: 

„Zensl Mühsam, (...) wurde gleichfalls 1936 in Moskau verhaftet, wahrscheinlich, weil sie mit einem Bekannten von München her, Erich Wollenberg, dem die Flucht aus Moskau ins Ausland gelungen war, noch im Briefwechsel stand. Nach einigen Monaten Haft wurde sie freigelassen; als sie aber den Wunsch äusserte, Freunde in Amerika zu besuchen wurde sie neuerdings festgenommen und nach Karaganda verschleppt. Erst Anfang 1947 kam sie aus der Verbannung wieder nach Moskau zurück, völlig ausgezehrt und über und über mit Schwären bedeckt. Wie Paul Försterling, der in Moskau zurückgebliebene deutsche Verbindungsmann zwischen KP/SEP, bolschewistischer Partei und NKWD, von seinen Parteigenossen Finsterling getauft, in einem Brief an Walter Ulbricht berichtete, traf Zenzl Mühsam in schlechtem körperlichem und seelischem Zustand in Moskau ein, wo Helene Stassova sich persönlich um sie bemühte. Försterling erbat besondere Direktiven, was mit ihr geschehen solle und liess durchblicken, dass er ihre Entlassung nach Deutschland nicht befürworten könne. Offenbar tat der Uriasbrief seine Wirkung. Wenigstens ist mir von einer Rückkehr Zensl Mühsams nichts bekannt geworden. Dass sie sich in Moskau in Freiheit befinde, bezweifle ich lebhaft. Übrigens ist diese Freiheit schlimmer als ein Gefängnis im Westen.“ 

Zenzl Mühsam war unterdessen im Februar 1949 zum dritten Mal verhaftet worden, wieder wegen „Zugehörigkeit zu einer antisowjetischen trotzkistischen Organisation“. Sie wurde zu „spezieller Verbannung“ und zu Zwangsarbeit in einer Kolchose in einer „speziellen Siedlung“ (Jelenka bei Nowosibirsk) verurteilt.

Im August 1949 erschien in der BRD Rudolfs Rockers Broschüre „Erich und Zensl Mühsam – Gefangene bei Hitler und Stalin. Der Leidensweg des berühmten anarchistischen Dichters und seiner Frau“ und wirft unangenehme Fragen auf. 

Freiheit im proletarischen Käfig 

Im Juli 1954 – 17 Monate nach Stalins Tod – durfte Zenzl „auf Veranlassung des Roten Kreuzes“ nach Iwanowo zurückkehren und bemühte sich dort um ihre Ausreise. Im März 1955 bekam sie nach langen bürokratischen Auseinandersetzungen einen deutschen Pass, erholte sich in einem Moskauer Sanatorium und traf im Juni 1955 in Berlin ein. Die Abteilung für Kaderfragen des Zentralkomitees durchleuchtete sie und sie erhielt wie viele andere ein Schweigegebot – über das in der Sowjetunion Erlebte durfte nicht gesprochen werden. Finanziell ging es ihr gut, neben einer NS-Verfolgten-Rente bekam sie auch Erich Mühsams Ehrenrente. Der Kampf um den Mühsam-Nachlass ging auch in der DDR weiter – 12'000 im Moskauer Maxim-Gorki-Institut angefertigte Mikrofilmaufnahmen68 wurden 1956 nicht ihr, sondern dem ZK der SED, Abteilung für Wissenschaft und Propaganda ausgehändigt. Die anarchistischen Hintergründe von Mühsams Werk wurden vom Regime gekonnt vernebelt. Mit ein Grund wieso sich Zenzl weigerte, der Akademie der Künste testamentarisch die Urheberrechte zu übereignen. Ab 1959 versuchte die Staatssicherheit Zenzl unter Druck zu setzen. Kurz vor ihrem Tod im Jahre 1962 überschrieb sie unerwartet alle Urheberrechte Erich Mühsams an die Akademie der Künste. Weder die Ansprüche von Erichs Geschwistern in Palästina noch Erichs Verfügung in seinem verschwundenen Testament aus den 1930er Jahren, in dem er Zenzl und Rudolf Rocker als Herausgeber wünschte, wurden berücksichtigt. 

Aus: Di Schwarzi Chatz Nr.4 (Januar/Februar 2010)

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