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Helge Döhring: Rezensionen zu literarischen
Veröffentlichungen
Wolfgang A. Nacken: „auf' m flur"
Die Flamme der Liebe und des Aufstandes
Der Verrat von Mile End
Füchse der Ramblas
Oliver Steinke: "Die Flamme der Liebe und des
Aufstandes". Historischer Roman aus revolutionären Zeiten,
Karin Kramer - Verlag, Berlin 2003, ISBN
3-87956-269-5
Leider immer noch nahezu unbekannt ist die Geschichte der Machno-Bewegung Anfang
der Zwanziger Jahre in der Ukraine. Diese Bewegung bestand aus
sozialrevolutionären Arbeitern und Bauern, welche sich im Zuge der Russischen
Revolution zur Sicherung des von ihnen von Herrschaft befreiten Gebietes sowohl
gegen zarentreue Monarchisten, gegen die einrückenden deutschen und
österreichischen Truppen und nicht zuletzt auch gegen die Bolschewisten
(Trotzki/Rote Armee) verteidigen mußten, um ihre Eigenständigkeit, ihre Würde zu
erhalten.
Die anarchistischen Kämpfer der Machnobewegung wurden schließlich von der
kommunistischen Roten Armee vernichtet; einige wenige konnten über die Grenzen
nach Westeuropa vor dem Terror der kommunistischen Machthaber und ihrer Lakaien
(wohlgemerkt vor Stalin!) entkommen und fanden z.B. auch in Berlin bei deutschen
Syndikalisten (Rocker/Mühsam) vorübergehend Unterkunft. Die Kämpfe um
eine freie Gesellschaft in der Ukraine dauerten aufgrund der Schlagkräftigkeit
der ihren Gegnern zahlenmäßig weit unterlegenen Machno-Bewegung ganze drei Jahre
(1919 - 1921). Die Machno-Bewegung steht für die grundsätzliche Möglichkeit zur
Schaffung einer freien Gesellschaft, gleichzeitig aber auch für die Gefahren
kommunistischer Herrschaft und deren menschenverachtende Praxis.
Die Hauptperson in Steinkes historischen Roman ist Viktor, ein bedeutender
Mitkämpfer der Machno- Bewegung. Seine Beteiligung an den Kämpfen und seine
Liebe zu einer jüdischen Mitkämpferin stehen im Mittelpunkt der Geschichte, wie
es im Klappentext zu lesen ist: "So beschreibt er (der Autor) historische
Tatsachen und läßt den Leser an der Freundschaft und Liebe eines jungen Mannes
und einer jungen Frau während des Befreiungskampfes teilnehmen. - Die Handlung
ist in die endlosen Weiten der Ukraine, die Kosaktenmetzeleien, den Verrat der
Bolschewisten, den Befreiungskampf der Bauern und die Leidenschaft für Liebe und
Freiheit eingebunden."
Der Autor versteht es sehr gut, Fiktion und Überlieferung miteinander zu
kombinieren. Dabei kommt er ganz ohne Mythen aus, welche sich gerade in
Anbetracht einer "heldenhaften" Befreiungsbewegung wie der Machnowtschina rasch
verbreiteten. Dementsprechend sind auch die Personen durchaus als gemischte
Charaktere dargestellt worden. Mutige Kämpfer weinen hier auch mal. Nestor
Machno, der Anführer der Bewegung wird mit besoffenen Kopf auch mal zudringlich
und von einer Frau abgewiesen. Deutlich wird nicht nur an diesem letzten
Beispiel nachgezeigt, wie lang anhaltende Kämpfe auch auf solidarische
Befreiungskämpfer verrohend wirken können.
Entgegen der Lügen der kommunistischen Geschichtsschreibung, die Machno-Bewegung
sei antisemitischer Natur gewesen, besteht diese Bewegung nicht nur zum Teil
auch aus jüdischen KämpferInnen, sondern es wird auch aufgezeigt, wie sie mit
dem in der gesamten Ukraine weit verbreiteten Antisemitismus umgegangen ist,
nämlich schonungslos. Nicht ausgespart wird die Kritik an der Machno- Bewegung
als Männerbewegung, und welchen Wert es für Frauen überhaupt habe an ihr
teilzuhaben, wenn zwar eine freie Gesellschaft angestrebt werde, ein großen Teil
der Männer die Frauen jedoch weiterhin wie Menschen zweiter Klasse behandeln.
Die Handelnden werden hier sowohl in ihren Opfermut wunderbar dargestellt, als
auch an ihren Schwächen gepackt, dabei jedoch nicht verurteilt. Im menschlichen
Miteinander gibt es, so zeigt es der Autor deutlich auf, keine starren
Mechanismen. Da geben manche alles für die Sache bis in den Tod, andere
Revolutionäre glauben an Machno als einen Messias. Wir können hier festhalten,
dass der Autor es vermochte, diese Geschichte in all ihrer Komplexität
komprimiert-gelungen auf nicht einmal 200 Seiten darzustellen. Die mit
Zeitsprüngen versehene schnelle Abfolge kurzer Kapitel
verleiht diesem historischen Roman etwas dramenhaftes, was von der historischen
Vorlage auch so verlangt wurde. Dementsprechend kommt keine Langatmigkeit auf
und die LeserInnen von dem Buch nicht ab. Hier wird eine fast vergessene
Bewegung ein Stück weit aus dem Schatten hervorgeholt und die Mordtaten der
Kommunisten, sowie die Nachsichtigkeiten der Machno- Bewegung mögen unvergessen
bleiben. Die Lehren hieraus sind nur allzu deutlich - Oliver Steinke braucht sie
nicht zu nennen.
Helge Döhring in Bremer Aktion Nr.11
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