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Helge Döhring: Rezensionen zu literarischen Veröffentlichungen

Wolfgang A. Nacken: „auf' m flur"
Die Flamme der Liebe und des Aufstandes

Der Verrat von Mile End

Füchse der Ramblas

Wolfgang A. Nacken: „auf' m flur",
Roman, Verlag Edition AV, ISBN 978-3-936059-28-2, 120 Seiten, (Direkte Aktion Nr. 165, September/Oktober 2004)

 

Tschüß Autonome!

„Er", wie er im Roman nur genannt wird, hat die klassische revolutionäre Laufbahn eines Autonomen in den 90- er Jahren durchgemacht von „der Zeit des Bullenverprügelns...der Hausbesetzungen und der schwarzen Blöcke, deren anonymer Teil er immerhin gewesen ist", die „Zeit der aktiven Antifa, deren Utopien, geteilt mit vielen anderen, der Rückschläge, die man in Chancen uminterpretiert habe." Schließlich gab es auch das autonome Zentrum und die vielen beliebigen Kampagnen.

„Er" ist Gutmensch, möchte niemandem wehtun und baut auf Vertrauen untereinander, appelliert an die Vernunft, empfindet den durch revolutionären Gestus zu kompensierenden Schuldkomplex als privilegierter Mitteleuropäer, macht die Erfahrung, dass das von ihm begehrte Proletariat nichts von ihm und seinen Ansichten wissen will, wenn er ausnahmsweise und mutig weil betrunken mal mit ihnen Kontakt aufnimmt, trennt auf diese Weise Revolution und Wirklichkeit (Arbeitsleben), kapselt sich aus Angst von seinen Mitmenschen generell ab, obgleich er diese doch agitieren möchte. Er ist der Idealist, der sich aus materieller Notlage heraus nicht zu engagieren braucht, lebt in innerer Zerrissenheit und Ruhelosigkeit. Er ist eine labile und mutlose Persönlichkeit, scheut die Verantwortung, und verliert „eines Tages" auch seinen Humor. Stark kommt er sich nur vor in seinem starren Element, dem Agitieren auf Demonstrationen, wo er, der sich „Anarchist" nennt, viel mehr Ähnlichkeit mit einem „Spartakist"- Sektenmitglied annimmt. Beide will niemand hören.

In der Sackgasse

Zu schlechter Letzt versucht er seine Unzulänglichkeiten zu kompensieren, indem er als Revolutionär Mehrarbeit leistet, wobei ihm Ziele und Organisation zunehmend unklarer erscheinen. Das verstärkt seine Einsamkeit, seine Depressionen, seine Angstzustände und letztendlich die körperlichen Zerfallserscheinungen und verschiedensten Krankheitssymptome und selbstzerstörerischen Tendenzen, welche schon diverse K- Grüppler vor ihm, dem „Autonomen"/„Anarchisten", durchmachten: Eßsucht, hastige Nahrungsaufnahme, Tablettenabhängigkeit, Ermüdungserscheinungen einerseits und Schlaflosigkeit andererseits. So geht er schließlich in Therapie.

Lernen tut er nichts daraus. Stattdessen teilt er sein Leben einer revolutionären Effektivität halber in 15 Minuten- Einheiten auf, prahlt vor seiner Romanbegleiterin, einer Freien Journalistin, die sich ausgerechnet seiner als erhofftes „Karrieresprungbrett" annimmt, mit Lügen, er sei ein Straßenkind gewesen, wobei seine stete Ängstlichkeit eher zu einem wohlerzogenen Hauskind passt. Desweiteren prahlt er mit militanter Mai- Randale und daß er „wilde Abenteuer mit Frauen gehabt" habe. Er muß immer weiter Lügen, um sein Leben, ein Lügengebäude, nicht einstürzen zu lassen und darf deshalb auch niemanden nahe an sich heranlassen. So hat er zwar viele Bekannte, doch keine echten Freunde, denn „Nähe löse bei ihm erst Enge, dann Panik und zum Schluss das Gefühl verlorener Zeit aus." Nähe gibt es bei ihm nur zu sich selbst. Er mimt ihr gegenüber im Gespräch auch gerne den Dozenten, um Kontroversen zu vermeiden. Eigene Unzulänglichkeiten projiziert er gezwungenermaßen auf andere. So seien seine GenossInnen AngeberInnen, die er nicht leiden könne.

Stellvertreterkampf als Therapie

Vor seinem Schlußakt fürchtet er sich, nämlich sich gemäß seines eigentlichen konservativen Grundcharakters häuslich niederzulassen und die revolutionäre Politik aufzugeben. Schließlich kleidete er die ihm als Kind eigene fanatische Religiosität nur in ein politisches Gewand, um dort mit dem gleichen Eifer fortzufahren, ohne über Inhalte reflektieren zu müssen. So wird anhand zahlreicher satirischer Zuspitzungen autonome Politik und „Revolution" als beliebiger Selbstzweck entlarvt für Aktivisten, die mit ihrem Leben nicht klarkommen. Anarchismus wird hier falsch verstanden als Form der Selbsttherapie. Letztlich gefällt er und mit ihm der dominierende Teil einer ganzen „Bewegung" sich in seinem/ ihrem Fatalismus. Mit seinem Stellvertreterkampf, statt einer „Politik der ersten Person" belästigt er dann andere Personengruppen, die mit ihm nichts anfangen können. So das Proletariat, die „Armen im Trikont", die Frauen, die MigrantInnen: „Er ist ein moralischer Nörgler, ein seltsamer Kauz, der deshalb niemanden zum Freund hat, weil er zu sehr auf sich bezogen ist. Sozusagen ein Egomane; wenn er es nur konsequent wäre ! Er aber versteckt seine Ichbezogenheit hinter einer vermeintlichen Aufopferung für andere, und dazu hat er sich die Schwächsten herausgesucht, die Elendsten und Ärmsten." Auf diese Weise kam dann eine Organisationen zustande, in welcher Leute wie der hier charakterisierte die Oberhand hatten, nämlich eine, „die keinerlei Botschaft hatte, sich dagegen darauf versteift habe, den Modus des Inhaltefindens und des Entscheidens darüber, was man nun wolle, festzulegen. Diese Organisation habe schon seit mehreren Jahrzehnten existiert, habe aber nie aus mehr als 100 Mitgliedern bestanden. Man habe an den halbjährlich stattfindenden Bundestreffen über Stunden darüber diskutiert, auf welche Weise man diskutieren wolle. Habe man sich notdürftig geeinigt, habe man erst eine lange Pause gemacht, danach die vereinbarte Diskussionsweise nicht eingehalten, habe aber – das sei der Fortschritt auf dem Treffen gewesen – nunmehr darüber diskutiert, wie man in Zukunft diskutieren könne." Dabei habe man „in den Jahren, in denen er Mitglied gewesen ist, nie einen Abschluß dieser Diskussion gefunden", sich stattdessen „immer nur hinter dem korrekten Statutengebrauch versteckt" und „sowieso nicht mehr gewusst, weshalb und wofür und mit welchem Ziel man revoltieren wollte."

Inhaltsleere der Bewegung

Dass er in der Lage wäre, sich selber kritisch zu hinterfragen, beweist er uns bei seiner Beschreibung einer x- beliebigen Zeitschrift „auf dem Weg zum Klo irgendeiner Kölner Kneipe für Durchschnittsjunge". Diese Zeitschrift habe eine perfekte Sprache, gute Schreibe, doch habe er nach anfänglichem Interesse festgestellt, dass dort nichts dringestanden habe: „Absolut kein Inhalt. Nur Leere." Er vergleicht diese Zeitschrift mit einem Film „mit den schönsten Bildern, aber ohne Ton, und man sehe sich den Film anderthalb Stunden an, und man könne noch immer keinen Sinn dieser Bilder erkennen – also klar, auch keinen Nihilismus – und dann dämmere es einem irgendwann, dass die Filmemacher selbst nicht gewußt haben, weshalb sie diesen Film machten. Ja, so etwa sei dieses Heft gewesen." Schließlich habe er sich „sehr geärgert, so viel Zeit mit so einem überflüssigen Scheiß, so einer Wichtigtuerei irgendwelcher Möchtegerns" verplempert zu haben. Diese Beschreibung erinnert beispielsweise sehr an den ästhetizistischen „Antifa- Ansatz" der Autonomen (AABO) zu Beginn der 90- er Jahre in Wort und Bild – super gestylte Inhaltsleere.

Hierzu charakterisiert er eine Zeitschrift, wie seine Begleiterin im Buch letztendlich ihn selbst beschreibt: „Aber wer ist er? Eine leere Hülle, gar nichts dahinter, oder ein Durchschnittstyp, Mittelmaß (...) Für eine Witzfigur ist er zu traurig. Für eine tragische Figur zu unbedeutend. Er ist das tragische Mittelmaß."

Als Hauptmerkmal des Niederganges zeigt der Autor die zunehmende Erkenntnis des Widerspruchs der Ansprüche mit der konkreten Lebenssituation auf: „Einzig das, wofür er lebte, sein Ideal nämlich, sei in den Jahren ergraut und ausgeblichen. Unansehnlich stehe es nun da, mächtig und groß wie immer, aber es leuchte nicht mehr. Es stehe irgendwie im Weg."

Der mit Naturmetaphern durchzogene Roman stellt „ihm" für ein Jahr (von Winter zu Winter) die zunächst karrierebewußte „freie Mitarbeiterin" der Presse an die Seite, anhand derer er sich dem Publikum offenbaren kann, doch bleibt er beim Erzählerischen, überläßt ihr die Analyse seiner Person.

Auf sie, die sich gerade aus ihrer Lebenssituation heraus politisiert, wirkt er und die Organisation, der er angehört, abschreckend. Trotz dem weis sie für sich, dass Freiheit möglich ist, wobei es dazu andere Wege geben müsse:

In einem Epilog spricht sich der Autor dafür aus, sich wieder mehr auf den Bewegungscharakter als auf starre Organisationen zurückzubesinnen, welchen Menschen, wie dem im Buch beschriebenen, nur als willkommene Plattformen zur Wichtigtuerei und destruktiver Kritik dienen. Die Theorie solle aus der praktischen Lebenssituation abgeleitet, Dogmatismus dagegen aufgegeben werden.

Die Schlüsselbegriffe für eine neue Bewegung stehen dann auch ganz im Gegensatz zur Hauptperson im Roman: Popkultur, Lebensgefühl, Lebensfreude, Begeisterung, Lebensgefühl, Emanzipation, Widerspruch, Wahrheit, Hartnäckigkeit, Miteinander und Aktion.

Bedeutung des Romans

In seiner Hauptperson vereint Wolfgang A. Nacken alle typischen Charaktermerkmale eines alternden „Berufsrevolutionärs". Er ist der mit satirischen Mitteln in zahlreichen Facetten „zur Kenntlichkeit entstellte" Vertreter dieser untergehenden Spezies perspektivloser „Revolutionäre". Der Roman kann zugleich, ohne sich allerdings darauf beschränken zu müssen, als die prosaische Form der wohl bedeutendsten Autonomen- Kritik, des „Heinz- Schenk Papiers", betrachtet werden nach dem Motto: „Die Autonomen machen keine Fehler, sie sind der Fehler."

Dem Autoren gelingt die Kombination verschiedener Erzählweisen, welche in diesem Kontrast den Anticharakter des Protagonisten erst zur vollen Geltung kommen läßt. Der Roman ist jedoch nicht so angelegt, als könne man sich zurücklehnen und mit dem Finger auf das Dargestellte zeigen. Er sollte vielmehr als grundsätzliche Aufforderung zur kritischen Selbstreflexion eines jeden Aktiven verstanden werden. Dabei schafft er es in sehr illustrer Weise, klar umrissen die Grenzen zwischen authentischem Handeln und politischer Selbstbefriedigung aufzuzeigen.

Diese Menschen wollen garnicht gewinnen, stattdessen gefallen sie sich in Fatalismus und pflegen eifrig ihren Opferstatus, den sie nicht einmal inne haben. Doch, wie Nacken es beschreibt, wenden sie sich in blindem kompensatorischen Aktionismus an Organisationen, da für sie „nun alles anders" sei mit einer anderen „Sicht auf die Dinge". Hier ist es auch egal, wie sie sich nennen, ob „Anarchisten", „Autonome" oder anders. Sie können überall ihr egomanisches Wesen ausleben. Sie, die sich fälschlicherweise als „Anarchisten" bezeichnen, werden jede Organisation zur Identitätssuche benutzen und letztendlich zerstören, so man sie denn läßt...

Bye bye...

Für Aktive bleibt hier die Erkenntnis, sich selbst über eigene materielle und ideelle Handlungsmotivationen klar zu werden und diese perspektivisch miteinander zu verbinden – Ziele gemeinsam mit anderen auch für sich selbst zu formulieren. Selbstdarsteller, wie sie hier beschrieben werden, stehen einer ernsthaften Bewegung, die den Namen auch verdient, nur im Wege, denn: „Er ist – nie am Ziel. Er braucht das Ziel. Er braucht das Nichterreichen, kurz davor oder lange davor, je nach Stimmung, mit der man diesen Abstand betrachtet."

Dieser hervorragende psychologische Roman ist die Seelenanalyse einer ganzen untergehenden (autonomen) Bewegung, derjenigen der 90- er Jahre. Er kann überdies als Schlußpunkt der ganzen Widerstandsepoche zwischen „Mauerfall" und der Gegenwart angesehen werden. Einzig die aufgezeigten Alternativen sind spärlich bemessen, denn außer Pop und Lebensgefühl folgt dieser tiefgehenden Analyse keine Perspektive. Herausschälen läßt sich bestenfalls noch der Hinweis, dass Organisation, wenn überhaupt, kein Selbstzweck sein sollte, sondern Mittel einer authentischen Bewegung. Das doppelt Tragische an der autonomen Bewegung der 90- er Jahre besteht ja nicht nur in ihren Fehlern, sondern gerade darin, dass diese bereits zu Beginn der 90- er Jahre bereits in dem sog. „Heinz- Schenk- Papier" bestens analysiert wurden. Der eine Teil der Szene reagierte giftig und abweisend auf diese Kritik und machte die Fehler originalgetreu noch einmal. Der andere kleidete ihre bleibende inhaltliche Leere in eine ästhetische und seriöser wirkende Hülle.

Dieser Roman ist eine dringende Empfehlung für alle jüngeren Menschen mit „berufsrevolutionärem" Anspruch, noch bevor sie selber „in die Jahre" kommen und, wie vor ihnen zahlreiche K- Grüppler und Autonome, frustriert resignieren.

Helge Döhring

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